Schadensbegrenzung in Budapest
Das Presse-Echo ist verheerend. Die linksliberale ungarische Tageszeitung Népszabadság spricht von einem „Wort-Tsunami“ des Fidesz, das deutschsprachige Magazin Pester Lloyd von einem teuren „Verzocken“ der Regierung Orbán. Und auch an den Märkten haben die Äußerungen von einem „Griechenland-Szenario“ aus den Reihen führender Politiker der ungarischen Regierungspartei Fidesz für erhebliche Unruhe gesorgt. Der stellvertretende Fidesz-Vorsitzende Lajos Kósa hatte das Defizit auf 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts veranschlagt, nicht wie bisher angenommen auf 3,8 Prozent. Dabei sprach selbst die Zentralbank von höchstens 4,5 Prozent Defizit. EU-Währungskommissar Rehn kommentierte aus dem koreanischen Pusan: „Behauptungen über einen Schuldenkollaps sind im ungarischen Fall übertrieben“.
Doch die unbedachten Äußerungen aus Budapester Regierungskreisen hatten da schon Unheil angerichtet. Der Forint fährt seitdem Achterbahn und schwächt damit auch den Euro. Kreditausfallversicherungen wurden vor dem Wochenende teurer. Beides trifft Hunderttausende ungarischer Kreditnehmer, die Geld in Fremdwährungen wie Schweizer Franken aufgenommen haben. Ihre Kredite wurden buchstäblich über Nacht teurer – ein Déja-Vu-Erlebnis: Schon einmal hatte Ungarn im Herbst 2008 kurz vor dem Staatsbankrott gestanden. Nur ein 25-Milliarden-Euro-Kredit von IWF und EU holte das Land seinerzeit aus der Patsche.
Seit Samstag versuchen sich ungarische Politiker denn auch in Schadensbegrenzung: Der für die Finanzplanung zuständige Staatssekretär Mihály Varga bezeichnete seine Äußerungen vom Vortag als „unglücklich“. Man werde am Defizitziel der Vorgänger-Regierung Bajnai festhalten, nämlich 3,8 Prozent des BIP. Zuvor hatte sich sein Chef, Ministerpräsident Viktor Orbán, eine Abfuhr in Brüssel geholt. Eigentlich wollte er nämlich dort um einen Freifahrschein für mehr Schulden ersuchen, um das Wahlziel Steuersenkungen durchsetzen zu können. Doch angesichts des höchsten Schuldenberges in Mittelosteuropa (etwa 79 Milliarden Euro) sagte EU-Kommissionspräsident Barroso: „Ohne Haushaltsdisziplin gibt es keine Zukunft“. Selbstgefälligkeit habe hier keinen Platz. Für den Regierungschef, der zu Hause in Budapest mit Zweidrittel-Mehrheit regiert, war das eine kalte Dusche. Er zog sich mit seiner Regierung zur Haushaltsklausur zurück. „Spätestens innerhalb von 72 Tagen werden wir einen Aktionsplan vorlegen“, versprach Viktor Orbán. Konkret wurde Wirtschaftsminister György Matolcsy am Montagmorgen gegenüber dem Fernsehsender CNBC. Er kündigte Kürzungen in Höhe von bis zu 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an. Und er schob zur Beruhigung nach: „Es ist offenkundig, dass Ungarn nicht Griechenland ist“.
Bis zum Wochenende hatte die Regierung Orbán versucht, konkrete Wirtschaftspläne mit Verweis auf die unklare Kassenlage unter Verschluss zu halten. „Die Vorgängerregierung hat Daten – wie die Griechen – gefälscht“, betonte Regierungssprecher Péter Szijártó noch am Freitag. Doch lange wird diese Argumentationslinie nicht durchzuhalten sein. Jetzt müssen Fakten und Ziele auf den Tisch, fordert die liberale Presse. Es müsse Schluss sein mit Symbolpolitik, etwa der doppelten Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn.
Alle warten jetzt darauf, dass Viktor Orbán die Katze aus dem Sack lässt. Ein Budapester Rentner, der vor dem Parlament auf die Straßenbahn wartet, ist sich sicher: „Es wird Einsparungen geben“. Er hoffe nur, dass es nicht wieder die Rentner treffe, wie unter Orbáns Vorgänger Bajnai. Dem Studenten András Mettelnich ist dabei klar, was auch Orbán weiß: „Der finanzielle Spielraum ist eng“.