Polen

Der Staatsfeind wird selig

Die Ereignisse vom Herbst 1984 in Polen könnten als Drehbuch für einen Tatortkrimi herhalten: Agenten der Staatssicherheit entführen am 19. Oktober den Priester Jerzy Popieluszko auf dem Heimweg von einer Dienstreise. Wenige Tage später wird seine Leiche aus einem Weichselstausee gefischt. Was dann folgt, eignet sich für einen Heldenfilm: Über eine halbe Million Menschen kommen zu Popieluszkos Begräbnis. Im kommunistisch regierten Polen wird der Vorfall zu einer stillen Manifestation und Machtdemonstration der katholischen Kirche.

Die Kleidung des damals 37-jährigen Geistlichen sowie die eigentliche Tatwaffe, ein Holzknüppel, sind heute Ausstellungsstücke im Warschauer Popieluszko-Museum und stumme Zeugen eines Verbrechens, das nun offiziell vom Vatikan als Martyrium anerkannt wird. Jerzy Popieluszko wird 25 Jahre nach seiner Ermordung als „Märtyrer des Glaubens“ am Wochenende in Warschau selig gesprochen.

„Ich denke, dass Popieluszko sich beim Verlassen des Hauses nicht sicher war, ob er zurückkommt“, mutmaßt heute Popieluszkos Jugendfreund Zbigniew Malacki (61). Denn schon Monate vor der Entführung wurden Anschläge auf den populären Pfarrer verübt. Dem kommunistischen Regime war Popieluszkos Kritik an der Unfreiheit der polnischen Bevölkerung aufgestoßen. Zudem hatte er die Verhängung des Kriegsrechts und das Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc kritisiert.

Für viele Polen war die Situation im Land Anfang der 80er Jahre, etwa die Mangelwirtschaft, nur schwer erträglich. Nicht nur die Arbeiter der Danziger Werft, auch Warschauer Hüttenarbeiter streikten. Popieluszko zelebrierte in der Zeit des Arbeitskampfes mit den Warschauer Werktätigen Gottesdienste. Er stand auch noch zur Solidarnosc, als 1981 das Kriegsrecht verhängt und die Gewerkschaft verboten wurde.

Der „Solidarnosc-Pfarrer“ half bei Schauprozessen gegen Dissidenten und Arbeiter, er besuchte viele der mutmaßlichen Staatsfeinde im Gefängnis und wurde so selbst zum Staatsfeind. Mehrfach verhörten ihn die Sicherheitsorgane. Popieluszkos Wohnung wurde zudem ständig beschattet, erinnert sich Jan Szostak. Der heute 73-jährige Rentner hatte damals Kontakt zu dem unbeugsamen Priester. Heute steht er immer wieder an Popieluszkos Grab in der Hozjusza-Straße im Warschauer Stadtteil Zoliborz.


Ein Mann legt Blumen an Popieluszkos Grab nieder. Seit seinem Tod vor fast 26 Jahren waren rund 16 Millionen Menschen an seinem Grab / Markus Nowak, n-ost


Jerzy Popieluszko wurde 1947 in Ostpolen geboren und besuchte in den 1970er Jahren das Warschauer Priesterseminar. Er wurde bekannt für seine Predigten und seine Kritik am 1981 verhängten Kriegsrecht. Im selben Jahr geriet er ins Visier des totalitären Systems. 1983 wurde er verhaftet, auf Druck der Öffentlichkeit und der Kirche dann aber freigelassen. Popieluszko wurde am 19. Oktober 1984 von drei Offizieren des polnischen Staatssicherheitsdienstes entführt. Sie schlugen ihn zusammen und ertränkten ihn mit Steinen beschwert in einem Weichsel-Stausee. Die Täter wurden zwar gefasst und noch durch ein kommunistisches Gericht verurteilt, aber die eigentlichen Hintermänner des Mordes werden bis heute bei den damaligen Machthabern vermutet.


Seit 25 Jahren wacht Szostak mit anderen Freiwilligen abwechselnd an der letzten Ruhestätte des Dissidenten-Pfarrers. „Früher haben wir gefürchtet, dass der Sicherheitsdienst die sterblichen Überreste ausgräbt und entführt“, erinnert sich der Rentner an die Zeit nach der Beerdigung 1984. Heute sieht er seine Totenwache als Gottesdienst. Das kommunistische Regime wollte vermeiden, was später tatsächlich eintreffen sollte: Popieluszkos Begräbnisstätte wurde zum inoffiziellen Wallfahrtsort und zur Gedenkstätte des antikommunistischen Widerstands.

Fast 16 Millionen Menschen waren bislang schon am Grab des ermordeten Pfarrers, weiß Katarzyna Soborak. Darunter Papst Johannes Paul II., aber auch Benedikt XVI. – damals noch als Kardinal Ratzinger – und vor wenigen Monaten erst Prinz Charles, erinnert sich Soborak. Die 76-jährige Rentnerin verwaltet den Nachlass des ermordeten Priesters und hat über die letzten 13 Jahre auch den Beatifikationsprozess begleitet. Darin wurde geprüft, ob der ermordete Priester einer Seligsprechung würdig ist. „Wir haben seit dem Begräbnis daran gearbeitet, zu beweisen, dass ein privater Kult um Pfarrer Popieluszko besteht. Denn ohne diesen gäbe es keine Seligsprechung“, sagt Soborak. Wie aktuell der Popieluszko-Kult in Polen immer noch ist, beweist ein Film, der im vergangenen Jahr in die Kinos kam: „Popieluszko. Die Freiheit in uns“ lautet eine der teuersten Kinoproduktionen Polens, die seit dem Start im vergangenen August Millionen Zuschauer gesehen haben.


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