Rumänien

Showdown um radikales Sparpaket

Ob Lehrer oder Mütter, Bahnfahrer oder Beamte, bald bekommen sie alle in Rumänien den Geschmack des jüngsten, beispiellos radikalen Sparpakets zu spüren. Ab dem 1. Juni will die Regierung sämtliche Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor sowie das Elterngeld um 25 Prozent kürzen. Die Renten sollen um 15 Prozent gesenkt, andere kleinere Sozialleistungen komplett gestrichen werden. Weiter plant Ministerpräsident Emil Boc mindestens 150 der insgesamt ungefähr 400 Krankenhäuser im Lande sofort zu schließen, die Ausgaben für die Ausstattung öffentlicher Einrichtungen streng zu begrenzen und auf manche Projekte der Ministerien und Behörden zu verzichten.

Das umfassende Sparpaket wird mehr als 50 Gesetze ändern und soll noch Ende der Woche oder spätestens am Montag vor das Parlament zur Abstimmung gebracht werden. Denn die Zeit drängt: Schon im Juni entscheidet der Internationale Währungsfonds (IWF) über eine weitere Tranche des 20-Miliarden-Euro-Kredits, der 2009 vereinbart wurde, um einen Staatsbankrott zu vermeiden. Beim letzten Bukarest-Besuch einer IWF-Delegation Anfang Mai fiel die neue Konjunkturprognose noch schlechter aus als erwartet: Die Wachstumsaussicht für 2010 beziffern die Experten aus Washington nicht mehr auf 0,8 Prozent, sondern auf null.

Seit Ende der Verhandlungen versuchen Staatspräsident Traian Basescu und seine Mitte-Rechts-Regierung, die neuen Sparmaßnahmen als alternativlos zu verkaufen. Jedoch zeigen sich Opposition, Gewerkschaften und zahlreiche Organisationen der Betroffenen äußerst schockiert und wütend. Vorige Woche protestierten 30.000 Arbeitnehmer, Mütter und Rentner vor der Regierungszentrale in Bukarest. Ab dem kommenden Montag wollen Bahn- und Busfahrer den Verkehr lahmlegen. Ein Generalstreik der Lehrer mit Boykott der Abschlussprüfungen gilt jetzt als sicher, vor allem weil das Parlament in einem separaten Verfahren schon seit Ende April darüber berät, per Änderung des Bildungsgesetzes Lehrergehälter und Schulbudgets zu kürzen.

Trotz der Entschlossenheit der Opposition, durch einen Misstrauensantrag gegen das Sparpaket vorzugehen, stehen die Überlebenschancen der Regierung ziemlich gut. Anders als 2009, als er durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde, verfügt Ministerpräsident Boc über eine zuverlässige bürgerliche Mehrheit. Die größere Gefahr für ihn geht nicht vom Parlament aus, sondern vom riesigen Umfang der Pläne. Auch wenn die Rumänen eine lange und bittere Erfahrung mit der Transition gemacht haben, wurden die Löhne noch nie auf einmal um 25 Prozent gekürzt. Überdies ist die Anzahl der Betroffenen enorm: Fast sechs Millionen Rentner und mehr als eine Million Staatsangestellte werden bald mit dem Ausfall wichtiger Teile ihrer Einkünfte rechnen müssen.

Angesichts der befürchteten Kaufkraftsenkung sowie der weitgehenden Störungen durch Proteste reagieren sogar manche Arbeitgeberorganisationen skeptisch auf den angekündigten Sparkurs. Die meisten Mitglieder der neuen, postkommunistischen Mittelschicht, die vor allem in den Jahren vor der Wirtschaftskrise überdurchschnittliche Einkommen genossen haben, stehen allerdings geschlossen hinter den Regierungsplänen. Ein Teil der Bukarester Presse kritisiert täglich die unverhältnismäßige Anzahl der Beamten: Diese seien fast alle korrupt und inkompetent, noch dazu faul, weil sie in der Regel keine unbezahlten Überstunden leisten müssten. Obwohl eine Durchschnittsrente ungefähr 150 Euro beträgt und kaum für die Grundbedürfnisse reicht, präsentieren rechtsliberale  Kommentatoren die Proteste der Rentner als Reflex einer altkommunistischen Almosenmentalität.
Als IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn in einem Interview verriet, dass er während der Verhandlungen in Bukarest eher eine Aufhebung der 16-Prozent-Pauschalsteuer und eine Erhöhung der Steuersätze für die Spitzenverdiener empfohlen hatte, löste das einen Skandal in den rumänischen Medien aus. Der Sozialist Strauss-Kahn befinde sich schon im Wahlkampf für die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich.


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