Ein großer Europäer
Der Tod, die Niederlage, das Ende – Donald Tusk will das nicht akzeptieren. „Es ist unmöglich“, sagt er. Der polnische Premierminister ist ein Mann des Aufbruchs. Sein Blick wirkt zwar oft ernst, ist aber meist nach vorn gerichtet. Tusk bewegt gern etwas. Für das, was der 53-Jährige bereits erreicht hat, erhält er am Himmelfahrtstag den Aachener Karlpreis. Die Auszeichnung würdigt Verdienste um die europäische Einigung. Und Tusk, so urteilt die Jury, habe entscheidend zum Zusammenwachsen Europas beigetragen, als er den EU-Reformvertrag von Lissabon in Polen gegen alle Widerstände durchsetzte. Er sei „ein polnischer Patriot und ein großer Europäer“.
Der gebürtige Danziger regiert erst seit zweieinhalb Jahren als Premier in Warschau. Sein berühmter Landsmann, Papst Johannes Paul II., bekam den Karlspreis nach jahrzehntelangem Wirken. Tusk ist auf der Überholspur unterwegs. Doch wenn die Welt aus dem Tritt gerät, hält auch er inne. Wie nach der Flugzeugtragödie von Smolensk, bei der Anfang April der polnische Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere hochrangige Repräsentanten des Landes ums Leben kamen. „Es ist unmöglich, den Tod zu akzeptieren“, sagte Tusk bei der Trauerfeier – und eroberte sich einen Platz in den Herzen der Polen. Seine Landsleute sahen Tusks Trauer auch um Lech Kaczynski, der sein politischer Erzfeind war.
Im Herbst 2005 wäre der bürgerlich-liberale Tusk um ein Haar selbst Präsident geworden. In allen Umfragen lag er vorn, bis Lech Kaczynski und sein Zwillingsbruder Jaroslaw eine Schmutzkampagne gegen den „verkappten Deutschen aus Danzig“ anzettelten. Tusks Vater, ätzten seine nationalkonservativen Gegner, habe im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht gedient. Tatsächlich war Josef Tusk von den Nazis zwangsrekrutiert und später im KZ eingekerkert worden. Zum Präsidenten wählten die Polen Lech Kaczynski.
Es war ein zutiefst bitterer Moment für Donald Tusk, der aus den Weltkriegserfahrungen längst seine eigenen Konsequenzen gezogen hatte. In den 80er Jahren lehnte sich der Historiker und Journalist als Solidarnosc-Aktivist gegen die kommunistische Unterdrückung auf. Als Premier setzt Tusk auf Versöhnung – mit Deutschland, vor allem aber mit Russland. Das Karlspreis-Direktorium würdigt diese „Politik der Ostpartnerschaft“ ausdrücklich. Mehr noch aber geht es den Aachenern um Tusks Einsatz für den Lissabon-Vertrag. Präsident Kaczynski wollte das Reformwerk aushebeln. Nach dem 2008 gescheiterten Referendum in Irland erklärte er das Projekt für „sinnlos“. Doch Tusk hielt dem Staatschef immer wieder vor, er habe den Vertrag schließlich selbst mit ausgehandelt – bis Kaczynski klein beigab.
Und das Ringen mit dem Kaczynski-Klan ist keineswegs beendet. Nach dem Tod von Lech Kaczynski wählen die Polen im Juni einen neuen Präsidenten. Mit im Rennen: Jaroslaw Kaczynski. Favorit ist Tusks Parteifreund Bronislaw Komorowski. Der Premier selbst hat auf eine erneute Kandidatur für das höchste Staatsamt verzichtet. Das weitgehend repräsentative Präsidentenamt biete zu wenige Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb wolle er Regierungschef bleiben, argumentierte Tusk. „Um etwas zu bewegen.“