IWF-Sparkurs auf Kosten der Bildung
Bis Ende der Woche (7. Mai 2010) sind die Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Bukarest zu Besuch, um mit der rumänischen Regierung über die Durchsetzung ihres strengen Krisenplans zu sprechen. Noch wird hinter verschlossenen Türen verhandelt, danach verfasst der IWF einen Lagebericht. Im Juni entscheiden die Geldgeber dann, ob Rumänien eine weitere Tranche des 20-Milliarden-Euro-Kredits erhält.
Seit März 2009 bringt jeder Besuch der Delegation aus Washington neue Kürzungen mit sich. Im Abendfernsehen kündigt dann Ministerpräsident Emil Boc die jeweils beschlossenen Sparmaßnahmen an. Seine Mitte-Rechts-Partei PDL peitscht die Gesetzesentwürfe im Parlament durch.
Im Finanzministerium gibt man sich zufrieden: Rumänien hat im März sein Haushaltsdefizit planmäßig gesenkt. Doch die erzielte Reduzierung von 7,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Jahr 2009 auf 5,9 Prozent im Jahr 2010 bedeutet nicht nur einen massiven Stellen- und Lohnabbau im öffentlichen Sektor. Sie zwingt die Regierung in Bukarest auch, auf wichtige Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte zu verzichten.
Kein einziger Kilometer neue Autobahn werde in diesem Jahr in Rumänien eröffnet, kündigte Verkehrsminister Radu Berceanu vor kurzem an. Dabei ist der Bedarf des Transitlandes an Infrastruktur enorm: Auf einer Gesamtfläche, die dreimal größer als Österreich ist, stehen den 20 Millionen Rumänen und dem internationalen Warenverkehr zurzeit nur 321 Kilometer Autobahn zur Verfügung.
Auch im Bildungssektor ist die Situation kritisch geworden. Schon im vergangenen Jahr wurde der Abbau von 15.000 Lehrerstellen beschlossen. Zusätzlich plant die Regierung, die Gehälter zu kürzen und die Arbeitsplatzgarantie für Lehrer zu lockern. Die Gewerkschaften sind entsetzt und haben bereits vor zwei Wochen, am Tag der ersten Abiturprüfung, im ganzen Land gestreikt. „Die massiven Kürzungen demotivieren die Lehrer total“, sagt Tudor Spiridon, Generalsekretär des Bildungsgewerkschaftsbundes Spiru Haret.
Bis spätestens Ende Mai soll das Parlament in Bukarest nach monatelangen Debatten über die geplante Bildungsreform abstimmen. Ursprünglich wollte die Regierung jedes Jahr sieben Prozent des BIP für Bildung und Forschung ausgeben und Schüler und Studenten aus benachteiligten Familien unterstützen. Über diese Ziele wird zwar im Parlament zurzeit noch debattiert, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie unter den neuen Umständen erreicht werden können. Sollten die Verhandlungen über ihre Gehälter scheitern, wollen die Lehrer zum Generalboykott sämtlicher weiterer Abschlussprüfungen im Juni aufrufen.
Im Notfall greift die Regierung zu Verzögerungstricks. „Wir warten immer noch auf die rund 1.000 Euro aus Gehaltsabrechnungen, die das Bildungsministerium jedem Lehrer schon 2009 hätte bezahlen müssen“, stellt Spiridon fest. Ein Gericht in Bukarest hatte nach einer Klage der Gewerkschaften das Vorgehen des Ministeriums für gesetzwidrig erklärt. Vor Kurzem aber hat die Regierung per Eilverordnung eine Gesetzesänderung beschlossen, nach der die geschuldeten Summen über drei Jahre verteilt werden können. „Wir werden gegen die Eilverordnung Berufung einlegen – beim Verfassungsgericht und, falls nötig, auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“, droht Gewerkschaftschef Spiridon.
Der Staat schuldet nicht nur den Lehrern Geld, sondern auch zahlreichen Firmen, die am Autobahnbau in Rumänien beteiligt waren. Mehr als 400 Millionen Euro sollen diese Fälligkeiten offiziellen Schätzungen zufolge betragen. Etliche ursprünglich für Investitionen geplante Summen, wie die fast drei Milliarden Euro aus dem Verkauf des größten Kreditinstituts des Landes an die österreichische Erste Bank, sind inzwischen verschwunden. Der rumänische Rechnungshof erklärte im März, es sei diesmal keine Korruptionsaffäre gewesen. Das Geld stopfte einfach einen Teil des Haushaltslochs.