Ungarn

Rückkehr zum Einparteien-System?

„Die Ungarn haben ein System gestürzt und ein neues begründet“, erklärte der Fidesz-Vorsitzende und künftige Ministerpräsident Viktor Orbán gestern Abend vor tausenden Anhängern in Budapest. 263 von 386 Mandaten hat der Nationalkonservative mit seiner Partei Fidesz in zwei Wahlgängen der Parlamentswahl in Ungarn erobert. Damit verfügt er über eine beachtliche Machtfülle. Die übrigen Parteien im Parlament – Sozialisten, Grün-Alternative, Rechtsextreme – sind zu Statisten degradiert, Viktor Orbán kann nun durchregieren.

„Es gibt in Ungarn kein Gegengewicht wie den Bundesrat in Deutschland“, erklärt der Budapester Politikwissenschaftler Zoltán Kisszelly. „Mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit kann man die Verfassung ändern.“ Und das hat Viktor Orbán auch vor. So will er das Parlament auf etwa die Hälfte der Abgeordneten (200) reduzieren. Außerdem wollen die Nationalkonservativen die Zahl der Ministerien nach britischem Vorbild auf sieben bis acht reduzieren.

Gleichzeitig soll ein Spitzenministerium entstehen, dem einzelne Fachgebiete als Staatssekretariate untergeordnet werden. „Das soll die Effizienz erhöhen“, meint der Politologe Kisszelly, „aber natürlich könnten förmliche Anfragen im Parlament dann auch zu kurz kommen.“ Davor hatten die Sozialisten (MSZP), die eine herbe Wahlniederlage einstecken mussten, bereits im Wahlkampf gewarnt. Der Politologe Kisszelly glaubt zwar nicht, „dass jetzt eine Präsidialdemokratie nach russischem oder französischem Muster entsteht.“ Allerdings geht er davon aus, „dass es zu einer Regierung kommt, in der Autorität eine größere Rolle spielt“.

In der Wirtschaftspolitik setzt Fidesz auf Wachstum. In den nächsten zehn Jahren will Viktor Orbán eine Million neue Jobs schaffen. Langfristig sollen auch die Steuern gesenkt werden. Wie das funktionieren soll, bleibt das Geheimnis des Fidesz. Denn Ungarn hat Schulden in Höhe von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das ist die höchste Quote in Mittelosteuropa.

Vor anderthalb Jahren stand Ungarn vor dem Staatsbankrott. Nur ein Milliardenkredit von EU und IWF konnte das Land damals vor der Pleite retten. Die Sparpolitik der Sozialisten wollen die Konservativen nicht fortsetzen, obwohl sie erfolgreich war. Im Gegenteil: Viktor Orbán will mit dem IWF verhandeln, „damit dieser eine Verschuldung um fünf Prozent des BIP erlaubt“, so Zoltán Kisszelly. Das heißt im Klartext: mehr Schulden für mehr Wachstum.

In einem Glückwunsch-Schreiben an Viktor Orbán mahnte EU-Kommissionspräsident Barroso nach dem Erdrutsch-Wahlsieg: „Wir setzen auf Sie.“ Wichtigstes Problem in der EU sei die Meisterung der globalen Wirtschaftskrise, so Barroso. Ungarn muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Denn Anfang 2011 übernehmen die Magyaren für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft.

Klar ist jetzt schon, dass es erhebliche Verstimmungen insbesondere mit dem Nachbarn Slowakei geben wird. Denn Viktor Orbán will den Auslandsungarn eine doppelte Staatsbürgerschaft zugestehen, wenn möglich sogar das Wahlrecht. Gelänge dies, könnte er seine Macht noch weiter ausbauen – der Preis wäre ein erheblicher Nachbarschaftsstreit in der Europäischen Union.


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