Ungarn

Durchbruch für grüne Bewegung

Es ist eine Premiere im postkommunistischen Ungarn und ein seltenes Ereignis in der politischen Landschaft Osteuropas: Eine neue, grüne Partei schafft es knapp ein Jahr nach ihrer Gründung in die ungarische Nationalversammlung und bekommt 7,5 Prozent der Stimmen. Bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen am kommenden Sonntag will Lehet Más a Politika („Politik kann anders sein“, kurz LMP) trotz massiven Rechtsrucks bei der Mehrheit der Wähler ihren Stimmenanteil konsolidieren.

Mit Obama-Wahlsprüchen wie „Yes, we can“ und mit einem ambitionierten linksliberalen Programm wirbt die LMP vor allem um die Stimmen der jungen, urbanen Generation. In Budapest hat die Bewegung, in der sich viele Akteure der Zivilgesellschaft versammeln, bei der ersten Wahlrunde am 11. April überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Sie ist sogar auf dem dritten Platz, vor der rechtsradikalen Partei Jobbik, gelandet.

„Wir hatten auch in der Vergangenheit grüne Parteien in Ungarn, aber sie waren alle erfolglos. Keine hat je mehr als 0,5 Prozent der Stimmen bekommen“, erzählt Benedek Jávor, Spitzenkandidat der LMP in Budapest und Umweltsprecher der Partei. Der Hauptgrund für ihren überraschenden Erfolg liegt dem zukünftigen Abgeordneten zufolge in der besonderen Nähe der Partei zur NGO-Szene und den Basisorganisationen, vor allem in den Großstädten. Mit Wärmedämmung von Wohnhäusern, der Einführung einer Öko-Steuer und staatlicher Unterstützung für erneuerbare Energien will die LMP in Ungarn den Klimawandel aufhalten.

Dieses ehrgeizige Programm dürfte zwar nicht ohne Weiteres durchsetzbar sein, denn die Partei rechnet nach der Stichwahl mit nur 16 bis 17 Sitzen in der neuen, überwiegend von der konservativen Partei Fidesz dominierten Nationalversammlung. Der 38-Jährige Dozent Jávor gibt sich dennoch optimistisch: „Es ist uns bereits gelungen, die ungarische Politik davon zu überzeugen, dass der Einsatz von Cyanid, insbesondere im Goldbergbau, verboten werden muss. Das haben wir geschafft, als wir noch außerhalb des Parlaments saßen!“


LMP-Führung und Aktivisten am Abend der ersten Wahlrunde in Budapest / Silviu Mihai, n-ost

Nachdem die Wahlergebnisse der ersten Runde am 11. April bekannt geworden waren, feierte die LMP-Führung zusammen mit den jungen Anhängern und Budapester Aktivisten in einer der trendigen Szene-Locations der Hauptstadt. Der Einzug ins Parlament galt da schon als sicher. Trotz der schlechten Nachrichten vom Sieg der Rechtsextremen war „Yes, we can!“ der Spruch der Stunde. Spitzenkandidat András Schiffer, 39, sprach von einem grünen Wandel, von einem Stil- und Generationswechsel in der Politik.

Dieses neue, dynamische Image begeistert tatsächlich viele Wähler, zumindest in Budapest. „Ihre politische Sprache ist anders“, bemerkt der Hochschulabsolvent und Sozialwissenschaftler Márk Pályi, 26. „Als linker Wähler freue ich mich sehr, dass es jetzt eine normale und moderne linke Partei in Ungarn gibt. Als junger Erwachsener aus der Generation nach 1989 bin ich sehr stolz auf den Parlamentseinzug der LMP, denn so bringen wir das System der Volksparteien zu Ende.“

Doch auch den Erfolg der Rechtsradikalen von Jobbik betrachten Analysten als Protestzeichen gegen das Versagen und die Korruption vieler ungarischer Mainstream-Politiker. Das Land steckt schon seit 2006 in einer tiefen Wirtschaftskrise und benötigte als erster EU-Mitgliedstaat Hilfe vom Internationalen Währungsfonds.

„Mehr erneuerbare Energien und eine stärkere Beteiligung von Frauen würden der Wirtschaft gerade jetzt einen wichtigen Impuls geben“, fordert Timea Szabó, 34, die frauenpolitische Sprecherin der LMP. „Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Es ist uns wichtig, dass sie den Weg zurück zur Partizipation finden.“ Die grüne Bewegung setzt da Zeichen: Mindestens fünf der voraussichtlich acht weiblichen Mitglieder der neuen Nationalversammlung werden Schätzungen zufolge der LMP angehören.


Weitere Artikel