Politikverdrossene hoffen auf neuen Messias
Mit einem Schuss aus einer alten Mörserkanone eröffnete am Dienstag die Partei Öffentliche Angelegenheiten (VV) in Tschechien die heiße Phase ihres Wahlkampfs. Ende Mai wird dort ein neues Parlament gewählt, und VV hat alle Chancen, als völlig neue Partei gleich die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Das liegt allein am Parteivorsitzenden Radek John, der die Umfragen über die Beliebtheit der Spitzenpolitiker anführt. 61 Prozent der Tschechen halten ihn für vertrauenswürdig. Damit ließ er im April erstmals auch den unbestrittenen Liebling vieler Tschechen, Karl Fürst Schwarzenberg, hinter sich.
Anwalt der kleinen Leute
Die erwähnte Mörserkanone war auf einem Platz auf der barocken Prager Kleinseite aufgestellt worden und zielte in Richtung des Regierungsamtes. Radek Johns Ziel ist damit klar umrissen: „Die alten Dinosauriers der tschechischen Politik sollen endlich weg!” Ähnlichkeiten mit dem Schuss vom Panzerkreuzer Aurora, der in Russland einst die Oktoberrevolution einleitete, wies John aber zurück. Er sei schließlich kein Linker, schon gar kein Kommunist. „Wir sind eine liberale Partei”, betonte der bärtige 58-jährige Jungpolitiker.
Radek John kommt jedoch nicht aus dem Nichts. Der studierte Regisseur hat zahlreiche Filme gedreht. Berühmtheit erlangte er aber als Chef einer investigativen Redaktion beim privaten Fernsehsender TV Nova. Das von ihm geleitete Team deckte in der Sendereihe „Mit eigenen Augen” Dutzende Skandale auf, vor allem in der tschechischen Politik. John wurde für die Tschechen zu einer Art Anwalt der kleinen Leute, die sich von der Obrigkeit und der allgegenwärtigen Bürokratie schikaniert fühlten. Für die kämpfte er, auch immer mit einem gehörigen Schuss Populismus.
Neue Politikkultur mit unverbrauchten Leuten
Johns Partei hat sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben. Wer für sie kandidieren will, muss damit rechnen, auf die Probe gestellt zu werden, schreibt die Zeitung „Pravo“ am Mittwoch. So schicke John beispielsweise Gewährsmänner aus, die den potentiellen Kandidaten ein unlauteres Angebot machen. Wer den Bestechungsversuch nicht melde, fliege nicht nur von der Kandidatenliste, sondern müsse auch noch eine halbe Million Kronen (20.000 Euro) Strafe zahlen. Wer es ins Parlament schaffen sollte, muss sich einem strengen Fraktionszwang unterziehen. Gegen die eigene Partei zu stimmen, soll sieben Millionen Kronen (280.000 Euro) kosten. Ersatzweise kann man aber auch sein Mandat niederlegen.
Derlei kommt bei den politikverdrossenen Tschechen hervorragend an. Die sind nämlich an ein ganz anderes Verhalten vieler ihrer Politiker gewöhnt. Jiri Pehe, einstiger Chefberater von Vaclav Havel, monierte jüngst bei einem Wahlkampfauftritt für VV die Selbstbedienungsmentalität in der tschechischen Politik und mahnte eine völlig neue Politikkultur mit neuen, unverbrauchten Leuten an – eben mit Leuten wie Radek John.
Die betrogene Ex zweifelt am Kandidaten John
Das hohe Maß an Vertrauenswürdigkeit, das John für viele Tschechen verkörpert, hat aber auch schon einen Kratzer bekommen. In seinem Privatleben gibt es einen dunklen Punkt: Er hatte über Jahre ein außereheliches Verhältnis, aus dem ein Kind hervorgegangen ist. Als er dies seiner langjährigen Ehefrau beichtete, warf die ihn raus. Die Ehefrau ist in Tschechien mindestens ebenso populär wie Radek John selbst: Es handelt sich um die Schauspielerin Zlata Adamovska, eine rothaarige Schönheit, die ihrem Ex zwar die Daumen für seine politische Karriere drückt, aber bezweifelt, dass er tatsächlich das Vertrauen der Wähler verdiene.
Doch auch ein lange geheim gehaltener Fehltritt ist für die meisten Tschechen kein Hinderungsgrund, einen Politiker zu wählen. In diesem Punkt sind die Tschechen überaus liberal. Und John steht mit seiner Eskapade nicht allein da. Ex-Premier Mirek Topolanek etwa betrog seine Frau mit einer Abgeordnetenkollegin und ein anderer Ex-Premier, der Sozialdemokrat Jiri Paroubek, verließ seine langjährige Ehefrau für eine Jüngere. Geschadet hat das keinem von beiden.