Abschied von Solidarnosc-Heldin
Sie war eine kleine Frau, die Großes für Polen geleistet hat: Anna Walentynowicz, Kranführerin auf der Danziger Lenin-Werft und Solidarnosc-Gründerin ist vor gut einer Woche bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk ums Leben gekommen.
Vor dem Haus von Anna Walentynowicz im Danziger Stadtteil Wrzeszcz (Langfuhr) brennen Kerzen. Nur wenige Einwohner von Danzig wissen, dass dort bis zum 10. April die Solidarnosc-Heldin gewohnt hat. Das Wohnhaus ist bescheiden. Genau wie die kleine Wohnung im 5. Stock, die jetzt leer steht. Die Trauernden vor dem Eingang wissen, warum sie gekommen sind. „Sie war aktives Mitglied der Gewerkschaft Solidarnosc, niemand war so mutig wie sie“, sagt eine Danzigerin. „Wenn man mit einem Problem zu ihr kam, konnte sie es lösen“, fügt ein Mann hinzu.
Die berühmte Kranführerin und Ehrenbürgerin von Danzig gilt als Gründerin der so genannten ersten Solidarnosc. Ihre Entlassung aus der damaligen Lenin Werft im Jahr 1980 führte zu einer Streikwelle und zur Entstehung der Ersten Polnischen Unabhängigen Gewerkschaft. „Anna Walentynowicz war ohne Zweifel die Patin der Solidarnosc“, sagt der Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz.
Ende der 70-er Jahre hat Anna Walentynowicz angefangen, die freie Gewerkschaft in Danzig aufzubauen. „Damals hat noch niemand gewusst, dass ihre Entlassung zu solch tief greifenden Veränderungen in Polen und in diesem Teil Europas führen würde“, so Adamowicz. Jerzy Borowczak von der Stiftung Solidarität sieht in Anna Walentynowicz „das Gewissen der Solidarnosc“. Er hat mit Anna Walentznowicz in den 80-er Jahren auf der Werft gestreikt. „Sie sagte immer ganz direkt, was sie meinte.“
Anna Walentynowicz kam 1929 in Rowne, in der heutigen Ukraine, zur Welt. Von Anfang an hatte sie ein hartes Leben. Ihr Vater fiel im Zweiten Weltkrieg an der Front, kurz danach erlitt ihre Mutter einen Herzinfarkt. Die 12-jährige Anna kam zu Pflegeeltern, im Jahr 1945 zogen sie gemeinsam nach Danzig. Das Pflegekind musste in der fremden Familie hart arbeiten. „Ich durfte mit niemandem sprechen. Ich habe wie eine Sklavin gearbeitet. Als ich mal nach Ferien gefragt habe, wurde ich hart geschlagen“, erzählte Anna Walentynowicz einmal in einem Interview. Mit 20 Jahren flüchtet sie aus dieser Familie. „Ich lief einfach durch die Straßen von Danzig und habe geweint. Fremde Leute haben mich bei sich zu Hause aufgenommen.“
Ein Jahr später fing Anna auf der Werft an zu arbeiten. In den ersten 16 Jahren war sie Schweißerin und arbeitete unter schweren Bedingungen. Sie wohnte in einer Kellerwohnung. 1952 wurde sie schwanger, doch als sie erfuhr, dass der Vater des Kindes sie betrog, verließ sie ihn. Sie brauchte eine Bleibe, doch die Möglichkeiten waren begrenzt. Schließlich fand sie einen Platz in einem Zimmer – zusammen mit mit einer fremden Familie: ein Ehepaar mit seinen drei Kindern und Anna mit dem Neugeborenen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als den kleinen Janusz ins Kinderheim zu geben, bis sie nach einem Jahr eine eigene Wohnung fand.
In den 70er Jahren stieg Anna Walentynowicz zur Kranführerin auf. „Sie hat sich gewerkschaftlich engagiert, weil sie dem Volk helfen wollte“, sagt Henryka Krzywonos-Strycharska. Sie arbeitete damals zusammen mit Anna auf der Danziger Werft. „Anna war eine sehr angenehme Person. Sie hat viel für andere Menschen getan. Sie war nicht nur sehr aktiv, sie hatte auch ein großes Herz und Mitleid mit anderen Menschen.“
Noch im August 1980 war Anna Walentynowicz voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft im kommunistischen Polen, trotz der ständigen Verfolgungen und Gewalt durch den polnischen Geheimdienst SB. „Sie hat den Werftarbeitern während der Streiks Mut gegeben. Doch danach kam für sie und die Solidarnosc alles anders“, erinnert sich Jerzy Borowczak. Nach den Streiks haben sich ihre Wege getrennt. „Ich bin Lech Walesa gefolgt, weil ich dachte, dass Evolution besser für Polen ist als Revolution. Anna wollte jedoch auf eine andere Weise für ein freies Polen kämpfen.“
Borowczaks Entschluss konnte Anna Walentynowicz nie verzeihen. Ebenso wie sie Lech Walesa nicht folgen wollte. „Nach der Einführung der Demokratie habe ich mich für einen anderen Weg entschieden, als sie sich vorgestellt hat“, so Lech Walesa. Der Danziger Bürgermeister analysiert den Bruch heute so: „Diejenigen, die bei einer Revolution an der Quelle sind, spielen später eine unbedeutendere Rolle. Es kommen neue Personen, neue Akteure, die die Plätze der Pioniere einnehmen.“
Einen Versuch, die Wahrheit der Solidarnosc-Initiatorin Anna Walentynowicz zu zeigen, hat der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff in seinem Film: „Streik - vergessene Heldin“ (2007) unternommen. Doch der Film fiel bei Schlöndorffs Heldin durch. „Nachdem ich mir den Film bei einer privaten Vorführung in Danzig angeschaut habe, war ich schockiert“, sagte Anna Walentynowicz in einem Interview. Ihrer Meinung nach wurden Fakten aus ihrer Biographie verdreht. Sie verlangte fortan, dass vor und nach jeder Vorführung des Films eingeblendet wird: „Dieser Film ist gegen den Willen von Anna Walentynowicz entstanden.“
Schlöndorff verteidigte sich damit, dass „der Film zwar stark von Walentynowicz inspiriert, aber kein Dokumentarfilm“ gewesen sei. Dass die Stärke seiner Heldin sich auch gegen ihn selbst richten könnte, damit hatte der Regisseur offenbar nicht gerechnet.