Wiedergeburt der St. Pauls-Kirche in Odessa
Uland Spahlinger redet schon wie ein echter Odessit – mit Mimik und Gestik. Etwas anderes bleibt dem neuen Bischof der lutherischen Kirche in der Ukraine auch nicht übrig – zu wenig russisch oder ukrainisch spricht er derzeit noch. „Dass ich mal in der Ukraine lande, hätte ich nie gedacht“, erzählt Spahlinger, der seit Sommer 2009 im restaurierten Gemeindehaus der St. Pauls-Kirche in Odessa lebt. Eine seiner ersten wichtigen Amtshandlungen ist nun die Wiedereinweihung der einst drittgrößten lutherischen Kirche des Russischen Reiches. Größer waren nur die Kathedralen in Moskau und St. Petersburg.
Die Kirche wurde 1827 nach Plänen des Architekten Karl Frank Boffoder erbaut und 70 Jahre durch einen Neubau ersetzt, um den steigenden Platzbedarf zu decken. Rund 7.000 Mitglieder zählte die evangelisch-lutherische Gemeinde 1895. Vor allem ins Land gerufene Siedler aus Süddeutschland – Bauern und Handwerker – gehörten dazu. Während der kommunistischen Diktatur kam das kirchliche Leben jedoch völlig zum Erliegen. Die Mitglieder der deutschen Gemeinden verschwanden – so sie den Stalinschen Terror überlebten – in der Anonymität der Sowjetzeit.
Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wagten es immer mehr Ukrainedeutsche, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen: Bei der letzten Volkszählung waren es etwa 4.000. Im Jahr 1990 wurde schließlich in Odessa die evangelisch-lutherische Gemeinde neu gegründet. Inzwischen jedoch war ihr Gotteshaus fast vollständig niedergebrannt: Die Feuerwehrleute konnten den Brand am 9. Mai 1976 nicht löschen, weil die Wassermenge, die die kleinen Lkws lieferten, für das riesige Bauwerk nicht reichte.
Bischof Ulan Spahlinger beim Gottesdienst in Odessa / Natalia Veresova, n-ost
Deutsche in der Ukraine
Die ersten Deutschen waren von Kaiserin
Katharina II. Mitte des 18. Jahrhunderts ins Land gerufen worden. Im
Juli 1763 erteilte sie die „Erlaubnis für alle nach Russland kommenden
Ausländer, sich in Gouvernements ihrer Wahl niederzulassen“.
Neben
ökonomischen und politischen Vergünstigungen garantierte sie den
ausländischen Siedlern die Möglichkeit, ihre Sprache, Kultur und
Religionsausübung zu bewahren. Viele Bauern und Handwerker aus
Deutschland folgten mit ihren Familien der Einladung der Zarin.
Zu
Beginn des 20. Jahrhunderts lebte etwa ein Drittel der Deutschen des
Russischen Reiches in der Ukraine. Siedlungssschwerpunkte waren neben
anderen die Gegend um Odessa und die Krim. Erste evangelisch-lutherische
Gemeinden wurden Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet.
Dies war umso tragischer für die Stadt Odessa, als die
Odessiten stets versucht hatten, das Gotteshaus vor Zerfall oder Abriss zu
schützen. Jurij Dikij, Klavierdozent an der Musikakademie in Odessa, kämpfte seit
den 1960er Jahren für die Kirche. „1966 war das gefährlichste Jahr“, erinnert
sich Dikij. Damals sollte die Kirche gesprengt und an ihrer Stelle ein
Studentenheim erbaut werden. Dikij schrieb zusammen mit anderen Odessiten einen
Brief an das Kultusministerium in Moskau mit der Bitte, die Paulskirche zu
verschonen. Auch in Moskau lebende berühmte Odessiten wie der Pianist Emil
Gilels und der Geiger David Oistrach signierten das Schreiben.
Als Postboten wählten die Odessiten Jurij Dikij. „Wir hatten gehofft, dass die
schöne, aber marode Kirche nicht zerstört, sondern renoviert wird und so
zumindest als Konzertsaal mit der Orgel erhalten bleibt“, sagt er. Tatsächlich
blieb die Kirche dank des Protestes der Bevölkerung erhalten. In den kommenden
Jahren sammelte man in Odessa Geld für die Renovierung. Doch das Feuer machte
aus der Kirche eine Ruine. Heute wird vermutet, dass die Verantwortlichen
für den Wiederaufbau das Feuer selbst gelegt haben, um zu vertuschen,
dass die gesammelten Gelder „verloren“ gegangen waren. Was mit dem Geld
passierte, ist nicht bekannt.
Die 1990 neu gegründete Gemeinde besaß also keine eigenen Räume. Ihr blieb
nichts anderes übrig, als Gottesdienste in einem gemieteten Kinosaal zu feiern.
Der Weg zum Wiederaufbau war lang und steinig. Besonders engagiert trieb der
ökumenische Referent der bayerischen Landeskirche Claus-Jürgen Roepke den
Wiederaufbau voran. „Zuerst musste mit dem Staat um das Grundstück, auf dem die
Kirchenruinen noch standen, gerungen werden“; erinnert sich Roepke. Fünf Jahre
hat das gedauert. Auf dem Grundstück befand sich ein ehemaliges Altersheim, in
dem 1997 noch zwanzig Familien in städtischen Wohnungen lebten. Es dauerte
weitere drei Jahre, bis die Familien ausquartiert waren und das Gebäude
freigekauft werden konnte.
Dank der finanziellen Unterstützung der bayerischen Landeskirche, des
Martin-Luther-Bundes, des bayerischen Sozialministeriums und der
Bundesregierung konnten der Wiederaufbau des Hauptschiffs der St. Pauls-Kirche
und der Anbau des Deutschen Zentrums St. Paul seit 2005 finanziert werden. Am
17. April wird nun die Wiedereinweihung des Gotteshauses gefeiert. Die
Odessiten nennen sie das Jahrhundert-Ereignis, weil die verfallende Ruine im
Herzen ihrer Stadt wieder zum Gotteshaus wird.