Polen

Abschied von Maria Kaczynska

Sie wurde für ihre Herzlichkeit und Direktheit geschätzt. Von der Politik hielt sich fern und trotzdem war sie der populärste Bewohner des Präsidentenpalastes. Millionen Polen trauern um Maria Kaczynska, deren Leichnam am Dienstag nach Polen übergeführt wurde. Die Polen haben ihrer First Lady spontan einen herzlichen Abschied bereitet, noch größer als beim Präsidenten selbst.

Obwohl gestern ein normaler Arbeitstag in Warschau war, standen wie am Sonntag Tausende Menschen auf den Straßen. Einige nahmen den Tag frei, andere ging für ein Paar Minuten raus, als der schwarze Wagen vorbei fahren sollte. Das Auto war dicht mit Blumen bedeckt.  „So viele Blumen hatte der Präsident nicht“, sagte eine Passantin bewegt. Um Lech Kaczynski trauerten Menschen als Staatsoberhaupt. Gestern verabschiedeten sie eine Frau, die fast alle Herzen erobern hat.

Sie war klein, zierlich, mit etwas nach oben gebogener Nase. Schick, aber bescheiden gekleidet. Ihre Abneigung gegen schicke Hüte war kein Geheimnis. Die Polen fanden es charmant – damit war Maria Kaczynska eine von ihnen, ein bisschen wie ein Mädchen aus der Nachbarschaft. „Pani Maria, Frau Maria“ oder „Marylka, Mariechen“ nannten sie viele Polen.

Maria Kaczynska passte mit ihrem Lebenslauf gut ins patriotische Bild, das ihr Mann gerne von sich zeigte, aber auch ein Großteil der Bevölkerung konnte sich gut damit identifizieren. Geboren wurde sie bei Wilna, wo ihre Familie seit Generationen lebte. Einer ihrer Onkel wurde 1940 in Katyn von der sowjetische Geheimpolizei ermordet, der andere kämpfte in der polnischen Armee um Monte Casino. Als die Grenze verschoben wurde, siedelte Marias Familie nach Südpolen um.

Maria studierte Wirtschaft in Sopot und arbeitete danach in einem Handelsinstitut. In Sopot lernte sie ihren Mann Lech Kaczynski kennen. Trotz guter Ausbildung verzichtete sie nach der Hochzeit auf ihren Beruf und blieb zu Hause. Ungezwungen und glücklich, wie sie oft betonte. Nur einmal, als ihr Mann als Oppositioneller zu Zeiten des Kriegsrechts inhaftiert wurde, arbeitete sie als Sprachlehrerin für Englisch und Französisch und versorgte damit die Familie.

Doch auch danach war sie nicht nur Hausfrau. Die Mitarbeiter von Lech Kaczynski erinnern sich, dass Maria es war, die die Presseschau für ihren Mann zusammenstellte. Als er Bürgermeister von Warschau war, bereite sie seine Termine und sogar die Kleidung vor. „Wenn ich auf ihn nicht aufpasse, dann nimmt er die Jacke aus einem Anzug und die Hose aus einem anderen“, erzählte sie damals ehrlich.

Maria Kaczynska war immer bei ihrem Mann, wenn auch stets einen Schritt hinter ihm. Bilder, die durch alle Fernsehkanäle gingen, zeigten eine First Lady, die ihrem Mann den Knopf an der Jacke zumacht oder die ihm noch schnell eine Plastiktüte mit einem belegten Brot ans Flugzeug bringt. Das wurde damals als totale Blamage betrachtet, Maria Kaczynska wurde ausgelacht. Sie war bei Kaczynskis Amtsantritt ein Schock für Polen – nach zwei Amtszeiten mit Jolanta Kwasniewska als First Lady. Deren Eleganz und Savoir-vivre stellte Maria ihre Direktheit und Geradlinigkeit gegenüber.


Porträtfoto von Maria Kaczynska / Agnieszka Hreczuk, n-ost

Im Laufe der Zeit lernten Polen, gerade das zu mögen. Maria Kaczynska war zwar schick angezogen, glich aber immer durchschnittlich elegant gekleideten Polinnen. Sie sprach wie sie, sie aß wie sie. Während Lech Kaczynski in der Bevölkerung immer unbeliebter wurde, wanderte der Sympathiepegel für seine Frau weiter nach oben. Kaczynski wurde von vielen  kritisiert, aber dieselben Leute loben zugleich seine Frau. Wenn Lech Kaczynski bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen überhaupt eine Chance gehabt hätte, dann vor allem dank der First Lady.

Doch Maria Kaczynska war nicht nur die harmonische Begleiterin des Präsidenten – sie konnte auch ihre Hörner zeigen. Entgegen den ersten Erwartungen zeigte sie schnell, dass, wenn es um ihre Überzeugung geht, sie keine Rücksicht auf ihren Schwager Jaroslaw Kaczynski und dessen Partei Recht und Gerechtigkeit nimmt. Im Widerspruch zur Parteilinie  unterstützte sie die Umweltschützer, die ein Straßenbauprojekt durch ein Tal in Nordpolen verhindern wollten, und wandte sich dagegen, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen.

Nicht nur für Kinder engagierte sie sich, wie es sich für eine First Lady gehört, sondern auch für Frauen. Sie zog die Empörung der Partei ihres Schwagers auf sich und wurde von Pater Rydzyk vom erzkonservativem Radio Maryja, einem früheren Unterstützer Lech Kaczynskis, persönlich beleidigt. Unerwartet stellte sich dann der Präsident gegen die Kritiker und verlangte Respekt für die Entscheidungen seiner Frau. Die Loyalität gegenüber seiner Frau war offenbar stärker als die Bindung zu seinem Zwillingsbruder.

Seit Sonntag ist der Leichnam von Präsident Lech Kaczynski im Palast. Allein. Erst am Montag wurde die Leiche der First Lady identifiziert – anhand des Eheringes. Am Dienstag folgte Maria Kaczynska ihrem Mann auf demselben Weg.


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