Bange Blicke aus Bratislava nach Budapest
„Was unterscheidet die Erdbeben in Haiti und Chile von dem in Ungarn?“, fragte dieser Tage eine slowakische Zeitung. „Das Erdbeben in Ungarn ist ein politisches, und es war im Gegensatz zu den beiden anderen vorhersehbar.“ So hatte denn auch die politische Führung in der Slowakei Zeit genug, sich darauf einzustellen, dass nach den Wahlen im Nachbarland Ungarn kein Stein mehr auf dem anderen bleiben würde. Die Beziehungen zwischen Slowaken und Ungarn sind von Harmonie weit entfernt, doch die ersten Äußerungen nach der Wahl fielen zurückhaltend aus.
Weder Präsident Ivan Gasparovic noch Premier Robert Fico nahmen den Namen des Wahlsiegers Viktor Orban in den Mund. Dafür kam das Angebot zu einem „aufrichtigen Dialog“. Fico schlug ein erstes Treffen mit dem künftigen ungarischen Premier noch vor den Parlamentswahlen in der Slowakei im Juni vor. Der Slowakei gehe es um Kooperation auf strategischen Feldern gemeinsamen Interesses, namentlich bei der Energieversorgung und dem Ausbau der Infrastruktur. „In den Bereichen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, sollten wir einen kulturvollen Dialog führen“, setzte Fico hinzu.
Bewusst wiederholte der Regierungschef nicht, was er mehrfach vor den Wahlen gesagt hatte: Dass er bei einem Wahlsieg Orbans eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen befürchte. Und schon ganz und gar vermied Fico eine Wiederholung seiner früheren Einschätzung, wonach es sich bei dem siegreichen rechtskonservativen Fidesz um eine „superextremistische Partei“ handle. Derlei dürfte man erst wieder im slowakischen Wahlkampf hören, wo vor allem die rechtsextreme Nationalpartei (SNS) lustvoll die „ungarische Karte“ spielen wird. Aber auch Fico beherrscht das meisterhaft. Im Grunde, so westliche Botschafter in Bratislava, brauchten sich die Extremisten auf beiden Seiten „wie kommunizierende Röhren“ und schaukelten sich gegenseitig hoch.
Die Liste der gegenseitigen Demütigungen und Ungeschicklichkeiten ist lang. Da ist auf slowakischer Seite das Gesetz über die Staatssprache, durch das sich die ungarische Minderheit benachteiligt sieht. Das neue Gesetz zur Anhebung des Patriotismus spricht explizit nur vom „slowakischen Volk“ und ignoriert damit gezielt, dass ein Zehntel der Bevölkerung ungarnstämmig ist.
Ungarische Politiker quer durch alle Parteien wiederum sprechen offen von einer Revision des Trianon-Abkommens, mit dem Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg um zwei Drittel seines Territoriums gekommen war. Orban hegt Pläne, den Angehörigen der ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern – also auch in der Slowakei – die ungarische Staatsbürgerschaft verleihen zu wollen. Wiederholt besuchten ungarische Politiker „privat“ die Gebiete in der Slowakei, in denen sich die ungarische Minderheit konzentriert. Dabei umgingen sie bewusst und gern Begegnungen mit ihren slowakischen Regierungspartnern. Zuletzt mündete das in einem Eklat, als der ungarische Präsident am 21. August vergangenen Jahres daran gehindert wurde, in die slowakische Grenzstadt Komarno zu fahren.
„Wenn Budapest schon nicht unser Gebiet annektieren kann, versucht es zumindest, seine Bürger zu annektieren“, warnte am Dienstag die slowakische Tageszeitung Pravda in einem Kommentar. Das Blatt erwartet zudem eine „Expansion des ungarischen Extremismus hinein in die Slowakei“. Die paramilitärische Garde der rechtsextremen Partei Jobbik, die im ersten Wahlgang auf 16,7 Prozent der Stimmen kam, könnte versucht sein, die „traditionell ruhige und konfliktscheue ungarische Minderheit“ in der Südslowakei „aufzuwecken“.
Die Zeitung mahnte die Führung in Bratislava, den Angehörigen der ungarischen Minderheit das Gefühl zu geben, in der Slowakei geschützt, unterstützt, anerkannt, kurz gesagt „zu Hause“ zu sein, damit sie weiterhin „zufrieden (und vor allem ruhig)“ blieben. Es bringe nichts, die „ungarische Karte“ zu spielen. Bleibt abzuwarten, ob sich die Spitzenpolitiker in Bratislava dies zu Herzen nehmen und ob die bei der ersten Bewertung der ungarischen Wahlergebnisse gezeigte Zurückhaltung länger Bestand hat. Das wäre auch für die EU wichtig, die kaum erpicht darauf sein dürfte, eines schlechten Tages zwischen zwei ihrer Mitglieder vermitteln zu müssen.
Hans-Jörg Schmidt
ENDE
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