Polen

Trauer rund um Danzig

In letzter Sekunde hatte der polnische Senator Janusz Sepiol wegen einer Konferenz in Danzig den Flug nach Smolensk abgesagt. Auch er sollte an dem Gedenken für die Opfer des Massakers von Katyn am Samstag teilnehmen. Auch er wäre an Bord des Flugzeuges gewesen, das im russischen Smolensk abstürzte und neben dem Präsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau auch einen Großteil der politischen Elite in den Tod riss.

„Ich weiß noch nicht, was Gott mir damit sagen wollte“, sagte Sepiol in Danzig nach der Katastrophe. „Darüber muss ich noch nachdenken. Für mich ist es, als hätte mich jemand von dieser anderen Welt berührt.“ Viele von Sepiols Bekannten und Freunden  sind heute tot. „Wir hatten oft Auseinandersetzungen. Doch wir hatten gemeinsame Erinnerungen und gemeinsame Pläne.“

Unter den Opfern der Flugzeugkatastrophe sind viele bekannte Politiker und Personen aus den drei Ostsee-Städten Gdansk (Danzig), Sopot und Gdynia: die berühmte Kranführerin und Solidarnoscgründerin Anna Walentynowicz, der Parlamentsabgeordnete Arkadiusz Rybicki, der Ex Sejm-Marschall und der erste nicht-kommunistische Woiewode in Pommern Maciej Plażyński, die Sejm-Abgeordnete Izabela Jaruga-Nowacka und der Kommandant der Polnischen Kriegsmarine Andrzej Karweta.

Der Prominenteste unter den Opfern indes ist der polnische Präsident Lech Kaczynski, der viele Jahre in Danzig gelehrt und dort ein Haus hatte. Vor seinem Haus in der Armii Krajowej Strasse 55 in Sopot versammelten sich seit Samstagmorgen Einwohner von Gdansk, Sopot und Gdynia, Touristen und Politiker. „Wir kannten sie. Sie waren gute Menschen“, sagt eine Nachbarin der Kaczynskis, die vor dem Haus in Sopot Blumen niederlegte. „Wir kennen auch ihre Tochter, die jetzt in Trauer ist. Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.“

Doch die Trauernden gedachten auch der anderen Opfer aus den drei Ostsee-Städten. „Ohne Anna Walentynowicz hätten wir in den 80er Jahren vielleicht keine Streiks in diesem Ausmaß gehabt“, sagte der Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz. Die berühmte Kranführerin und Ehrenbürgerin von Danzig gilt als Gründerin der so genannten ersten Solidarnosc. Ihre Entlassung aus der damaligen Lenin Werft im Jahre 1980 führte zu der Streikwelle und zur Entstehung der Ersten Polnischen Unabhängigen Gewerkschaften. Der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff zeigte ihre Geschichte in seinem Film „Heldin“.

In der „Dreistadt“ – so werden Danzig, Sopot und Gdynia gemeinsam genannt – wurden das ganze Wochenende hindurch Trauermessen für die Opfer der Flugzeugkatastrophe abgehalten. Die Einwohner von Gdansk, Sopot und Gdynia sprachen in Kondolenzbüchern ihr Mitleid aus. Diese sind in den Stadtmagistraten der Dreistadt ausgestellt: „Das ist eine Tragödie für ganz Polen. Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll“, schrieb ein Danziger. Eine Frau, die vor den Kondolenzbüchern wartete, sagte: „Das ist ein Trauma für mich. Ich habe geweint und komme nicht damit zurecht.“

Analytischer als die Menschen vor Ort kommentierten prominente Politiker aus Danzig die Tragödie: „Sie ist für mich mit dem politischen Konflikt in Polen verbunden“, sagte Jacek Kurski, gebürtiger Danziger und Abgeordneter der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit im Europaparlament. „Dieser Konflikt ist vernichtend, für alle. Dass es zwei Feierlichkeiten in Katyn gab...! Es hätte doch eine sein können.“ Vor ein paar Tagen waren bereits der polnischer Premier Donald Tusk und sein russischer Kollege Wladimir Putin in Katyn zusammengekommen, um der Opfer des Massakers zu gedenken. Nach Meinung von Jacek Kurski sind die politischen Eliten in Polen den Opfern der Katastrophe eine Verbesserung der politischen Atmosphäre schuldig.

Für Polens Ex-Präsidenten und ehemaligen Gewerkschaftsführer Lech Walesa ist der Verlust an der Staatsspitze riesig, doch es gebe keine Gefahr für Polen als Staat. „Unsere Demokratie ist entwickelt. Wir kommen mit dieser Situation zurecht. Allmählich werden wir die leeren Plätze besetzen. Doch das wird dauern.“


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