Rechtsruck im Parlament
Ein kleiner CD-Laden am Donau-Ufer in Budapest, gegenüber der alten Markthalle. Im Eingang liegt eine Fußmatte mit dem Konterfei des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány von den Sozialisten. „Die Fußabtreter gehen gut”, sagt Ladenbesitzer Sándor Seregi, ein Mittvierziger mit Stirnband und Rockerweste. Für sechs Euro verkauft er die Matte. Er schimpft auf acht Jahre Links-Regierung. „Wir zahlen viel zu hohe Steuern, die Multis kaum”, ereifert er sich und zeigt auf einen Stapel Taschenkalender auf dem Tresen über den Kopfhörern zum Probehören. Propagandamaterial der rechtsextremen Partei Jobbik. „Wir unterstützen Jobbik, weil der nationalkonservative Bürgerbund eine Opposition von rechts braucht”, erklärt Seregi. Er deutet auf das Sortiment in seinem Laden: Siebenbürgische Folkmusik, CDs der Rechtsrockband Kárpátia, Groß-Ungarn-Aufkleber. „Unser ganzes Angebot ist darauf abgestimmt”. Seine Lieblingspartei will ungarische Unternehmer stärker entlasten und Multinationale, die unter den Sozialisten gefördert wurden, zur Kasse bitten.
„Der Antisemitismus in Ungarn verkleidet sich als Globalisierungskritik”, sagt der Budapester Journalist Gergely Kispál, „da geht es gegen das jüdische Großkapital, jüdische Banker”. Er tritt für die grüne Partei LMP an, die auf den Sprung ins Parlament hofft. „Sechs Prozent sollten schon drin sein”, meint der Jungpolitiker, der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Den Rechtsruck in Ungarn erklärt er mit einer „Krise der korrupten Parteien”.
In Wahlkampfspots präsentiert sich Jobbik als Saubermann-Partei gegen die Korruption. „Das sind enttäuschte Spitzenleute aus der Provinz”, erklärt der Politologe Zoltán Kiszelly, „die Besten ihres Uni-Jahrgangs, die feststellen mussten, dass die guten Jobs schon besetzt waren”. Die Netzwerke der etablierten Parteien werde Jobbik nun aufmischen. Noch gehe das, „weil sie selbst noch nicht an den Fettnäpfen waren”. Kiszelly prophezeit eine Korrumpierung der Rechtsextremen innerhalb kürzester Zeit.
Insbesondere auf dem Land und bei jungen Leuten ist Jobbik erfolgreich. Im Parteiprogramm setzt die Partei auf ein Vorher-Nachher-Schema. Da werden die Missstände der vergangenen zwanzig Jahre aus Sicht der Rechtsextremen benannt und „eine bessere Zukunft” entworfen – der Slogan, mit dem die Partei antritt.
Enttäuschte Anhänger der ungarischen Antisemiten-Partei (MIÉP) und Fidesz-Renegaten hatten Jobbik vor sieben Jahren als radikaleres Politikangebot ins Leben gerufen. Zulauf bekommen die jungen Wilden seit der sogenannten Lügenrede des ehemaligen Premiers Ferenc Gyurcsány. Im Herbst 2006 hatte er zugegeben, die Wähler über den wahren Kassenstand belogen zu haben und nichts gegen die Krise zu unternehmen. Die Herbst-Proteste vor dem Parlament spülten Jobbik und die rechtsextreme Subkultur nach oben.
Ein dreiviertel Jahr später gründete Jobbik-Chef Gábor Vona – Geschichtslehrer und Vertreter für Sicherheitstechnik – die Ungarische Garde. In Knobelbechern und schwarzen Westen marschierten die Gardisten durch die Roma-Viertel. Mittlerweile ist die Garde verboten, hat jedoch nur Namen und Kostümierung ausgetauscht und ist weiter aktiv, unter anderem als Saalschutz von Jobbik.
Insbesondere auf die größte Minderheit, die etwa 600.000 ungarischen Roma, haben sich die Rechtsextremen eingeschossen. „Zigeunerkriminalität“ ist das Lieblingsthema von Gábor Vona und Co. Jobbik fordert die Wiedereinführung der Todesstrafe und der Landgendarmen. Wer sich nicht integriert, soll in „Zigeunerklassen“ oder Besserungsanstalten gesteckt werden, heißt es im Parteiprogramm. Und „wer nicht arbeiten will, dem wird die Stütze gestrichen“.
Wenn denn Arbeit da wäre. „Gut 100.000 Menschen leben in Dritte-Welt-Verhältnissen“, beklagt Szilvester Póczik vom Kriminologischen Institut in Budapest, „die Politik hat im Sozialen komplett versagt“. Er fordert über mehrere Generationen angelegte Sozialprogramme, um die Roma aus Elend und organisierter Kriminalität herauszuholen.
Die Jobbik-Hetze gegen die Roma bereitet den Boden für Gewalttaten. „Den unschuldigen Opfern“ steht auf einer Marmorplakette im Eingang des Hauses der „Roma-Selbstverwaltung“. Sie erinnert an sechs ungarische Roma, die wohl von einer rechtsextremen Todesschwadron ermordet worden sind. Die mutmaßlichen Täter sind gefasst, ein Urteil steht noch aus. Im Keller des Gebäudes in der Budapester Innenstadt probt das „100-köpfige Zigeunerorchester“ Walzer, im ersten Stock residiert der Vorsitzende der Roma-Vereinigung, Orbán Kolompár.
„In Ungarn ist der Roma- und Judenhass ein Business“, erklärt der winzige Roma-Lobbyist. Jemand im Hintergrund ziehe da die Strippen, auch in den Medien, orakelt er. „Dazu kommt die Krise. Kein Wunder, wenn da Sündenböcke gesucht werden. Erst die Ärmsten, die Roma – dann die oberen Zehntausend, die Juden“.
Ganz in der Nähe hat auch der Verband der ungarischen Jüdischen Gemeinden (MAZSIHISZ) seinen Sitz. „Seit der Wende hatten wir nicht mehr solche Angst“, erzählt der MAZSIHISZ-Vorsitzende Péter Feldmájer . Die Angriffe auf Juden hätten zugenommen: Hass-E-Mails, Friedhofsschändungen, tätliche Angriffe und antisemitische Zeitungsartikel. „Und das nicht in irgendwelchen Postillen“, betont Feldmájer, „sondern in ernstzunehmenden Tageszeitungen“.
Péter Feldmájer, Vorsitzender des Verbandes der Ungarischen Jüdischen Gemeinden / Stephan Ozsváth, n-ost
Nach zweieinhalbjähriger Debatte hat das Parlament auf Initiative der Sozialisten ein Gesetz verabschiedet, das Holocaust-Leugnen unter Strafe stellt. Jahrelang hatte Feldmájer dafür gekämpft. Der konservative Bürgerbund Fidesz enthielt sich bei der Abstimmung, die Rechtsextremen von Jobbik kritisieren den Paragraphen offen. Staatspräsident László Sólyom fand den Zeitpunkt unpassend, mitten im Wahlkampf.
Der geht nun zu Ende. Am Sonntag sind die Ungarn zur Wahlurne gerufen. „Ich hoffe, dass es eine klare Linie zwischen den ´guten Jungs´und den Extremisten gibt und die Demokraten nicht mit den Extremisten zusammen arbeiten“, sagt der MAZSIHISZ-Vorsitzende. Die Sozialisten muss man dazu nicht überreden. Auch der Fidesz schließt vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit Jobbik aus. Allerdings hat es bereits bei der Europawahl vor einem Jahr Wahlbündnisse zwischen Fidesz und Jobbik gegeben, in einigen Kommunen arbeiten die beiden Parteien zusammen. Wenn Viktor Orbán keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erzielt, muss er sich Partner suchen. Die Sozialisten kommen nicht in Frage. Ob die Grünen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, ist nicht sicher. Bleiben nur die Rechtsextremen.