Tschechien

Meilenstein für die Sicherheit

Kaiserwetter in der Moldaustadt. Normalerweise wälzen sich an einem solchen Tag zehntausende Touristen den alten Königsweg auf das Areal der Prager Burg hinauf, um die Aussicht auf die hunderttürmige Stadt zu genießen, den Veitsdom zu besichtigen oder durch das Goldene Gässchen zu lustwandeln. Am Donnerstag aber war alles anders: statt der Touristen Hunderte Polizisten und Sicherheitsleute, in Uniform oder Zivil, häufig mit Hunden, dazu Kameraleute aus aller Welt und hektische Protokollbeamte. Die Prager Burg wurde zur Kulisse für die beiden mächtigsten Männer der Welt, die Präsidenten Obama und Medwedew. Sie unterzeichneten dort das wichtigste Abrüstungsabkommen seit Jahren.

Taucher untersuchten Moldau nach Sprengstoff

Die Prager Burg war zu diesem Zweck in eine Festung verwandelt worden. Auch in weiten Teilen der Stadt unterhalb des Hradschin ging nichts mehr. Der Verkehr der Millionen-Metropole, die auch sonst permanent verstopft ist, lag völlig lahm. Lediglich die U-Bahnen fuhren wie immer und mussten all jene zusätzlich schlucken, die von einem Ende der Stadt zum anderen mussten und die normalerweise mit dem Auto unterwegs sind. Umgerechnet zwei Millionen Euro sollen die Sicherheitsmaßnahmen gekostet haben. Kampfflugzeuge stiegen auf, Taucher untersuchten die Moldau nach Sprengstoff, Scharfschützen hockten auf Dächern – kurz, das ganze Programm, um das Treffen der beiden Präsidenten ja keinem Zwischenfall auszusetzen.

„Meilenstein”, der die Welt sicherer macht

Vor einem Jahr war Prag zwar auch sicher wie eine Festung, aber die Atmosphäre war eine ganz andere. Zehntausende Tschechen jubelten damals auf dem Burgplatz Barack und Michelle Obama zu. Der US-Präsident hatte seine Vision einer Welt ohne Atomwaffen verkündet – diese Rede war ein wesentlicher Grund für die Verleihung des Friedensnobelpreises. Nun kam Obama bewusst erneut nach Prag, um mit seinem russischen Kollegen den ersten Schritt hin zu einer weniger hochgerüsteten Welt zu tun. Der Nachfolgevertrag des START-Abkommens von 1991, den beide im prunkvollen Spanischen Saal der Burg unterzeichneten, sieht eine Obergrenze von 1550 atomaren Sprengköpfen pro Seite vor. Die Zahl der Trägersysteme – Raketen, U-Boote und Flugzeuge – soll auf jeweils 800 sinken.

Nachdem sie ihre Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatten, würdigten beide Politiker übereinstimmend das Erreichte. Obama sprach von einem „Meilenstein”, der die USA und die Welt sicherer machen werde. Er wolle den Vertrag noch bis Jahresende im Senat ratifizieren lassen. Obama dankte seinem „Freund und Partner“ Medwedew für die gute Zusammenarbeit. Er äußerte zugleich die Hoffung auf einen konstruktiven Dialog mit Russland bei den umstrittenen US-Raketenabwehrplänen. Sie seien nicht gegen Russland gerichtet, betonte Obama.

Neues Kapitel in der Zusammenarbeit

Medwedew bezeichnete das Abkommen als „historisch“: „Nach diesen sicher nicht leichten Verhandlungen gibt es keinen Sieger und keinen Verlierer. Der Erfolg gehört beiden Ländern und mit ihnen der ganzen Welt“, sagte er. Das Abkommen eröffne ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA.

Im Streit um das iranische Atomprogramm forderte Medwedew die Führung in Teheran mit Nachdruck zur Zusammenarbeit auf. „Teheran reagiert leider nicht auf eine Vielzahl angebotener Kompromisse. Davor kann man die Augen nicht verschließen, und der Weltsicherheitsrat wird diese Angelegenheit erneut besprechen. Sanktionen führen zwar selten zu Ergebnissen, aber manchmal geht es nicht ohne sie“, betonte der russische Präsident. Sie müssten aber durchdacht sein.

Obama als "naiver Träumer"

Die Prager verfolgten das Geschehen in ihrer Stadt mit Interesse, aber auch mit einiger Skepsis. Obama hat für viele Tschechen etwas von seinem Zauber verloren. Sie sehen ihn eher als naiven Träumer. Vor allem werfen sie ihm vor, dass er den von seinem Vorgänger George W. Bush gehegten Plan für einen Raketenschild in Tschechien und Polen zu den Akten legte. Einige Politiker sprachen gar von „Verrat” und zogen einen Vergleich zum Münchner Abkommen, in dem die Westmächte 1938 die damalige Tschechoslowakei an Hitlerdeutschland ausgeliefert hatten.

Zu denen, die die Sorge umtreibt, Mittel-Osteuropa könne der neuen Freundschaft zwischen Washington und Moskau „geopfert” werden, gehört auch der frühere Präsident Vaclav Havel, der an der feierlichen START-Vertragsunterzeichnung nicht teilnahm. Havel und andere hatten sich 2009 in einem offenen Brief bei Obama darüber beklagt, dass man in den USA offensichtlich nicht sehe, dass Russland nicht von seinem alten Kurs abweiche. „Unsere Hoffnung, Moskau würde unsere Souveränität anerkennen, nachdem wir Mitglieder in Nato und EU wurden, hat sich nicht erfüllt.” Wohl auch deshalb nannte Obama die Tschechen vorsorglich gleich zu Beginn seiner Äußerungen nach der Vertragsunterzeichnung „enge Verbündete der USA”.

Zweifel an der Loyalität der US-Amerikaner, die auch andere in Mittel-Osteuropa hegen, wollte der US-Präsident am Abend bei einem Treffen ausräumen, zu dem Präsidenten und Premiers aus zehn weiteren Ländern der Region nach Prag angereist waren.


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