Ungarn

Die ungarische Opposition vor der Wahl

Umfragen sagen der ungarischen Oppositionspartei Fidesz bei der Parlamentswahl am Sonntag mehr als 60 Prozent der Stimmen voraus. Tibor Navracsics, Fraktionsvorsitender und Chefideologe des Mitte-Rechts-Bündnisses, träumt bereits von einer Alleinregierung. Im n-ost Interview spricht er über die Nachteile einer großen Koalition, die Fehler der linksliberalen Vorgänger-Regierungen und über Rezepte gegen den aufkeimenden Rechtsradikalismus.

Wird Fidesz die Demokratie in Ungarn demontieren und eine Diktatur installieren? Die regierenden Sozialisten (MSZP) malen diese Gefahr an die Wand, sollte Fidesz nach den Parlamentswahlen ans Ruder gelangen, was laut Meinungsumfragen so gut wie sicher ist.   

Navracsics: Fidesz wurde vor 22 Jahren mit dem Ziel gegründet, in Ungarn eine Demokratie zu errichten und das Land an den Westen zu binden. Noch bei jeder Wahl haben die Sozialisten versucht, Fidesz zu verunglimpfen und in die antidemokratische Ecke zu stellen. Davon erhoffen sie sich Wählerstimmen. Allerdings zieht das heute nicht mehr.

Der Fidesz-Vorsitzende Viktor Orbán hat kürzlich gesagt, dass ein Wahlsieg der Fidesz-Partei mehr sei als eine Revolution, weil er allen Menschen zugute käme. Könnten Sie das bitte erklären?

Wenn ich es recht verstehe, wollte er damit ausdrücken, dass Fidesz an der Regierung eine Reihe nationaler Agenden verfolgen wird, die vom ungarischen Volk einhellig begrüßt werden. Zu diesen Agenden gehören die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung des Gesundheitswesens und die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Ich möchte hier eines festhalten: Fidesz ist zwar eine Mitte-Rechts-Partei, an der Regierung wollen wir aber alle Menschen des Landes vertreten, egal welche politische Präferenz sie haben.

Kann sich Fidesz eine parlamentarische Zusammenarbeit mit den Sozialisten oder der rechtsradikalen Partei Jobbik vorstellen?


Nein. Aus diesem Grund wollen wir bei den Wahlen einen deutlichen Sieg einfahren. Die vergangenen Legislaturperioden haben gezeigt, dass in Koalitionsregierungen viele faule Kompromisse geschlossen werden. Das hat zur Folge, dass sich die Regierungen immer aufs Neue verzetteln. Außerdem neigen die Parteien in einer Regierungskoaltion dazu, bei Fehlern und Versäumnissen die politische Verantwortung aufeinander abzuwälzen. 

Eine große Koalition mit den Sozialisten ist also unvorstellbar?


Eine große Koalition hat zwei Nachteile. Erstens: Die Gegensätze zwischen den Parteien werden dadurch keineswegs beigelegt. Sie leben in der Regierung fort, was einem konsequenten und effektiven Regieren abträglich ist. Zweitens: Bei einer großen Koalition gibt es immer einen lachenden Dritten. In Ungarn würde die rechtsradikale Partei Jobbik den größten Nutzen daraus ziehen.     

Jobbik könnte in der nächsten Legislaturperiode sogar zweitstärkste Kraft im Parlament werden. Wie kann dieser Partei der Wind aus den Segeln genommen werden?

Durch gutes Regieren. Jobbik ist deshalb so stark, weil die linksliberalen Regierungen in den vergangenen acht Jahren so schlecht regiert haben. Die nächste Regierung muss sofort daran gehen, brennende Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen und das Bildungswesen auf Vordermann zu bringen.

Wie kann das Roma-Problem gelöst werden?

Wir haben es hier nicht mit einem ethnischen, sondern mit einem bildungs- und beschäftigungspolitischen Problem zu tun. Ziel muss es sein, die Roma-Kinder auszubilden und den erwachsenen Roma Arbeit zu geben. Darunter verstehe ich auch gemeinnützige Arbeit.

Was haben die linksliberalen bzw. sozialistischen Regierungen in den vergangenen Jahren falsch gemacht?

Ihre größte Sünde war, dass sie den Schein von Wohlstand in Ungarn durch die Aufnahme von Krediten aufrecht erhalten haben. Dadurch ist das Land in eine Schuldenfalle geraten.

War das unter dem Kommunismus nicht auch so?

Ja, so war es. Es sind ja auch dieselben Personen, die da handeln. Aber ich möchte auf die Schuldenfalle zurückkommen. Angesichts der horrenden Schulden sahen sich die diversen linksliberalen Regierungen in den vergangenen Jahren dazu gezwungen, eine drastische Sparpolitik zu verfolgen, was dazu geführt hat, dass Ungarn heute ein ausgeblutetes Land ist.  

Der jetzige Regierungschef Gordon Bajnai (seit März 2009) wird doch im Ausland für seine Wirtschaftspolitik gelobt.   


Er hat lediglich verhindert, dass das Land kollabiert ist.

Was haben die linksliberalen Regierungen in den vergangenen Jahren gut gemacht?   

Da muss ich nachdenken. (nach langer Pause) Die Regierung von Ferenc Gyurcsány (2004-2009) hat anfangs effektive und erfolgreiche Schritte zur Eindämmung der Schattenwirtschaft gesetzt. Das war’s aber auch schon.


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