Ungarn

„Das Vertrauen ist erschüttert”

ostpol: Vor anderthalb Jahren steuerte Ungarn auf den Staatsbankrott zu. Die von den Sozialisten gestützte Regierung von Gordon Bajnai vermochte das Steuer aber noch herumzureißen. Wie beurteilen Sie den heutigen Zustand der ungarischen Wirtschaft?

Attila Mesterházy: Vor einem Jahr noch hatten die internationalen Wirtschaftsforschungsinstitute Zweifel, ob Ungarn überhaupt fähig sei, aus der wirtschaftlichen Misere herauszukommen. Heute herrscht unter in- und ausländischen Analysten die Meinung, dass Ungarn die Krise erfolgreich gemeistert habe. Wird die verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik der Regierung Bajnai fortgesetzt, werden wir in den kommenden Jahren wieder ein Wirtschaftswachstum von drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) haben. Dies wiederum wird eine gute Basis dafür sein, die notwendigen strukturellen Reformen endlich in Angriff zu nehmen.

Ein Grund für die fehlende Unterstützung der Gesellschaft liegt sicher auch darin, dass die politische Klasse seit Jahren konsensunfähig ist. Wie sehen Sie das?


Mesterházy: Das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik wurde in den vergangenen Jahren spürbar erschüttert. Es gibt keinen anderen Weg, als eine neue politische Kultur zu entwickeln. Es muss doch möglich sein, dass die maßgeblichen politischen Kräfte in nationalen Grundfragen auf einen gemeinsamen Nenner gelangen. Und es muss auch Schluss damit sein, es als Schwäche anzusehen, wenn wir mit unserem politischen Gegner in gewissen Fragen übereinstimmen. Die Parteien sollten damit aufhören, den Wählern vor jeder Wahl das Blaue vom Himmel zu versprechen, also Versprechungen zu machen, die sie später nicht einlösen können. Wir müssen die Menschen endlich als Erwachsene behandeln und ihnen Lösungen anbieten, die wirklichkeitsbezogen sind.

Die Sozialisten sind seit 2002 an der Macht. Welche Erfolge konnte Ihre Partei in den vergangenen acht Jahren an der Regierung erreichen?

Mesterházy: Als Erfolg werte ich vor allem das Krisenmanagement der Regierung von Gordon Bajnai, mit dem wir, wenn auch unter großen Opfern, die Grundlage für ein wettbewerbsfähiges und stabiles Ungarn geschaffen haben.

Und was haben die Sozialisten in ihrer Regierungszeit falsch gemacht?

Mesterházy: Es war sicher nicht richtig, dass wir nach unserem Wahlsieg im Jahr 2002 die sozialen Ausgaben aus dem Ruder haben laufen lassen. Das heißt, dass diese Ausgaben vom Budget her nicht gedeckt waren. Als falsch betrachte ich auch unser Vorgehen bei der Umsetzung von Reformen. Wir dachten anfangs, dass die Ergebnisse für sich sprechen und die Reformen rückwirkend legitimieren würden. Aus heutiger Sicht war es natürlich ein großer Fehler, die Menschen nicht auf die fundamentalen Veränderungen vorzubereiten. Noch dazu haben wir parallel zu den Reformen eine rigide Sparpolitik verfolgt.

Laut Meinungsumfragen werden die Sozialisten bei den Wahlen eine historische Niederlage erleiden. Welches Wahlergebnis haben Sie sich zum Ziel gesetzt?

Wir werden für eine Überraschung sorgen und die heutigen Prognosen Lügen strafen.

Ist das Zweckoptimismus?

Mesterházy: Unser Ziel kann nur der Wahlsieg sein. Stellen Sie sich eine Fußballmannschaft vor, die mit der Einstellung auf den Platz geht, dass das Ergebnis egal ist. Das wäre doch absurd.

Was kommt auf das Land zu, wenn Ex-Regierungschef Viktor Orbán (1998-2002) und seine konservative Fidesz-Partei an die Macht gelangen?


Mesterházy: Orbán hat in einer Rede, die vor kurzem veröffentlicht wurde, unverhohlen gesagt, dass er ein Einparteiensystem bevorzuge, das frei sei von überflüssigen parteipolitischen Wertedebatten. Von einem Revanchismus angetrieben, drohen Orbán und Fidesz den Sozialisten damit, viele ihrer Politiker hinter Gitter zu bringen. Ich denke, dass solche Bestrebungen nichts mit Demokratie zu tun haben. Hinzu kommt, dass Fidesz sein Verhältnis zur rassistischen, rechtsradikalen Partei Jobbik endlich klären müsste. In zahlreichen Lokalverwaltungen sitzen Fidesz und Jobbik nämlich in einem Boot. Viktor Orbán hat Jobbik einmal sogar als Gemeinschaft ehrlicher junger Leute mit ausgeprägtem Nationalgefühl bezeichnet. Zieht Fidesz keine scharfe Grenze zu Jobbik, entzieht sich die Partei dem Kreis der demokratischen Kräfte.


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