Tschechien

Prag als „neutrale“ Kulisse für Obama und Medwedew

Etwas vorwitzig war es, das tschechische Außenministerium. Noch bevor eine Erklärung aus Washington oder Moskau vorlag, verkündete das Prager Cernin-Palais, dass Amerikaner und Russen ihr neues Start-Abrüstungsabkommen in Prag unterzeichnen werden. Die Moskauer Diplomatie reagierte etwas verschnupft auf das Vorpreschen der Tschechen. Doch im politischen Prag war die Freude darüber, demnächst den US-Präsidenten Barack Obama und  Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew an der Moldau begrüßen zu dürfen, so groß, dass man die diplomatischen Gepflogenheiten ein bisschen außer Acht ließ.

Endlich im Zentrum des Weltgeschehens

Viele Politiker frohlockten wegen des Gipfels auf der Prager Burg. Biete sich damit doch für Tschechien die Gelegenheit, wieder mal für einen Tag ins Zentrum des Weltgeschehens zu rücken. Und man erinnerte daran, dass Obama ja vor einem Jahr gerade in Prag seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt verkündet habe. Jetzt würden Amerikaner und Russen an gleicher Stelle eine ersten Schritt gehen, der womöglich zu diesem Ziel führe.

Die tschechischen Zeitungskommentatoren hingegen teilen die Euphorie der Politiker nicht annähernd. Sie fragen sich eher besorgt, was das anstehende Gipfeltheater für die politische Ausrichtung des Landes bedeute. Gemeinhin, mutmaßten gleich mehrere Zeitungen am Donnerstag, suchten die Großmächte für die Unterzeichnung wichtiger Verträge ein neutrales Land. Das aber sei Tschechien nicht. Es gehöre zur Nato.

Erinnerung an Prager Frühling ist stark verankert

„Wollen wir Wien sein oder Amsterdam?“, fragte etwa die konservative „Lidove noviny“. Wien wäre ein idealer Ort für die Vertragsabsegnung, bestehe doch Österreich auf seiner „immerwährenden Neutralität“. Niemandem käme dagegen in den Sinn, einen Großmächtevertrag in den Niederlanden abzeichnen zu lassen. Das werfe die Frage auf, wo Tschechien auf der Welt eigentlich verortet werde.

Die Distanz, die aus diesen Worten spricht, hängt mit den geschichtlichen Erfahrungen der Tschechen zusammen. Der frühere Präsident Edvard Benes (1935 bis 1938 und 1945 bis 1948) hatte einmal versucht, die Tschechoslowakei zu einer Brücke zwischen Ost und West zu machen – mit niederschmetterndem Erfolg. An die Russen erinnert man sich in Tschechien nicht nur als die Befreier von 1945. Im kollektiven Gedächtnis ist bis heute viel stärker verankert, wie die Sowjetunion 1968 mit einigen ihrer Verbündeten den Reformversuch des Prager Frühlings unter ihren Panzerketten zermalmte.

Seltsame Begleitmusik aus Moskau

Es hat zudem nach dem Systemwechsel von 1989 harter Verhandlungen mit Moskau bedurft, um die Russen zum endgültigen Abzug aus der damaligen Tschechoslowakei zu bewegen. Und es trug nicht gerade zur Beruhigung der Tschechen bei, dass zum diesjährigen 20. Jahrestag dieses Abzugs aus Moskau seltsame Begleitmusik erklang: Russlands Außenminister Sergej Lawrow beispielsweise machte gleich mehrfach deutlich, dass Russland Tschechien irgendwie noch immer als „sein“ Einflussgebiet betrachte.

Die Tschechen erinnern sich zudem sehr gut an die massiven Drohungen aus Moskau angesichts der Zustimmung der tschechischen Führung zur Errichtung einer Raketenabwehr in Tschechien und Polen, die noch von Ex-Präsident George W. Bush angeschoben worden war. Dass Obama eben dieses Projekt dann in einem nächtlichen Anruf beim amtierenden tschechischen Premier Jan Fischer stornierte, führte man in Prag auf eben diesen Druck aus Moskau zurück. Seither gilt Obama bei vielen Tschechen als außenpolitisches „Weichei“.

„Fünf Minuten Feier. Mehr nicht“

Der Kommentator der liberalen „Mlada fronta DNES“ bemühte sich am Donnerstag, den feierlichen Akt zwischen Obama und Medwedew zumindest herunter zu spielen. „Fünf Minuten Feier. Mehr nicht“ titelte er. Die Prager würden sich an den Gipfel höchstens verärgert wegen der vielen Straßensperrungen erinnern. In Reykjavik, wo Reagan und Gorbatschow 1986 das Ende des Kalten Krieges einläuteten, hielten die Touristenbusse heute auch nur für ein kurzes Foto vor der damaligen Verhandlungsvilla. „Knips, Knips – und nach zwei Minuten geht die Fahrt weiter zu einem Geysir.“ Mit anderen Worten: Die Welt werde hoffentlich ebenso schnell vergessen, dass das „neutrale“ Prag 2010 als Kulisse für die Großen der Welt herhalten musste.


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