„Die Wähler werden Orban bestrafen“
ostpol: Herr Mesterhazy, wie würden Sie den heutigen Zustand Ihres Landes beschreiben?
Attila Mesterhazy: Wir befinden uns am Rande des Staatsbankrotts. Die „unorthodoxe Wirtschaftspolitik” der Regierung Orban ist gescheitert. Die lange Reihe an wirtschaftspolitischen Fehlern der Regierung hat dazu geführt, dass das Land letzten Endes als Bittsteller vor den IWF treten musste, um einen rettenden Kredit zu bekommen.
Und außenpolitisch?
Mesterhazy: Da ist das Bild nicht besser. Weil sich die Regierung mit allen angelegt hat, ist Ungarn heute weitgehend isoliert. Es liegt tragischer Weise im Charakter von Viktor Orban, dass er die Politik ausschließlich als Kampf betrachtet. Die Sprache des Kompromisses ist ihm fremd.
Entsteht in Ungarn eine Diktatur?
Mesterhazy: Ich würde es eher als parlamentarische Diktatur bezeichnen. Als Tyrannenherrschaft der Parlamentsmehrheit. Sämtliche demokratischen Gegengewichte zur Regierungsmacht wurden ausgehebelt oder entschärft. Jeglicher Widerstand gegen die Regierung wird mit administrativen und rechtlichen Mitteln unterbunden. Opposition und regierungskritische Medien werden mundtot gemacht.
Viktor Orban schlägt in Europa dieser Tage doch versöhnliche Töne an.
Mesterhazy: Das ist nur ein taktischer Rückzug. An seiner Politik wird sich deshalb aber nichts ändern. Er stellt die Kritik aus dem Ausland in der Öffentlichkeit so dar, als richte sich diese gegen die ungarische Nation und nicht gegen seine Regierung und ihre Politik. Orban gebärdet sich sozusagen als Nationalheld, der sein Land verteidigt.
Viele Experten werfen Ihrer Partei, der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP), vor, der Zweidrittelmehrheit der Regierungspartei Fidesz den Weg geebnet zu haben – durch eine katastrophale Regierungs- und Wirtschaftspolitik. Sehen Sie sich verantwortlich für das, was heute in Ungarn unter der Regierung Orban geschieht?
Mesterhazy: Ja.
Etwas konkreter bitte.
Mesterhazy: Es war sicher nicht glücklich, dass die linksliberale Regierung von Ferenc Gyurcsany nach den Wahlen 2006 eine andere Politik verfolgte, als jene, die sie im Wahlkampf versprochen hatte: Wegen des horrenden Budgetdefizits 2006 sah sich die Regierung damals gezwungen, drastische Sparmaßnahmen zu ergreifen. Den Niedergang der Sozialisten besiegelte aber zweifellos Gyurcsanys Rede in Balatonöszöd...
… damals gestand der Ex-Premier ein, die Wähler jahrelang betrogen zu haben.
Mesterhazy: Als Gyurcsany 2009 als Regierungschef zurücktrat, entschieden wir uns einerseits aus Anstand, andererseits aus einer Verantwortung gegenüber dem Land, nicht in Neuwahlen zu flüchten, sondern den dornigen Weg, den wir begonnen hatten, weiterzugehen. So war es für uns nur natürlich, die schmerzhaften, aber notwendigen Sparmaßnahmen der Regierung von Gordon Bajnai zu unterstützen. Wir wussten damals ohnehin schon, dass wir die Wahlen 2010 verlieren würden.
Bis heute steht die MSZP in der Öffentlichkeit als Hort der Korruption in Verruf.
Mesterhazy: Das ist ein schlimmes Stigma. Was aber am schlimmsten ist: Es ist nicht gerecht. Ich kann die Korruptionsfälle meiner Partei auf einer Hand abzählen – verstehen Sie mich bitte nicht falsch, auch das ist zu viel. Doch der Regierungspartei Fidesz ist es bereits während ihrer Oppositionszeit erfolgreich gelungen, die MSZP in der Öffentlichkeit als korrupte Partei zu stigmatisieren. Daran arbeitet sie noch heute.
Sind die Vorwürfe denn aus der Luft gegriffen?
Mesterhazy: Wenn einer unserer Politiker einmal falsch parkt, steht das am nächsten Tag sofort auf der Titelseite der regierungsnahen Zeitungen. Es liegt jedenfalls in unserem elementaren Interesse, das schiefe öffentliche Bild von der MSZP zurechtzurücken. Deshalb haben wir innerhalb der Partei strengere ethische Normen aufgestellt, und wir haben auch unsere Finanzen transparenter gemacht.
Viele Experten sind der Meinung, dass die Regierungspartei Fidesz nur von einer Allianz der Oppositionsparteien besiegt werden kann.
Mesterhazy: Ich bin ein absoluter Befürworter einer oppositionellen Allianz. Um Fidesz besiegen zu können, muss die Opposition ihre parteipolitischen Interessen hintanstellen, dies gilt auch bei der Frage der Aufstellung von gemeinsamen Kandidaten.
Ist ein Wahlsieg gegen Fidesz im Rahmen des neuen Wahlgesetzes, das der Regierungspartei große Vorteile zu verschaffen verspricht, denn überhaupt möglich?
Mesterhazy: Solange die Wahlen in Ungarn geheim sind, kann jede Regierung abgewählt werden. Wahlgesetz hin und her, die Wähler werden Viktor Orban und die Regierungspartei Fidesz 2014 genauso bestrafen, wie sie 2010 uns bestraft haben.