Ceauşescu ist noch tief verwurzelt
Was wäre, wenn Nicolae Ceauşescu noch an der Macht wäre? An solch ein „Horrorszenario“, wie es der rumänische Regisseur Alexandru Solomon nennt, mag heute in Rumänien kaum jemand denken. Es sind mehr als 20 Jahre vergangen, seit sich das Land vom Kommunismus befreit hat. Nichtdestotrotz ist die Regierungszeit des Diktators tief in der rumänischen Bevölkerung verwurzelt.
Obwohl Ceauşescu für eines der unmenschlichsten Regimes in Europa steht – Nord-Korea und die Volksrepublik China galten ihm für die Unterdrückung Andersdenkender als Vorbilder, gibt es auch heute noch viele Menschen, die ihn für den besten politischen Führer der letzten hundert Jahre halten. Dies geht aus einem Bericht der Soros-Stiftung Rumänien von 2007 hervor. Demnach waren 23 Prozent der Rumänen der Meinung, dass Ceauşescu derjenige unter den rumänischen Führern war, der das beste für sein Land erreicht hat. Zugleich sagten 24 Prozent der Befragten, er habe seinem Land den größten Schaden zugefügt.
In dem Bericht wird erklärt, dass viele Nostalgiker der Ceauşescu-Ära Menschen sind, die im Kommunismus besser gelebt haben und heute verarmt sind. Oder sie hatten damals Schlüsselfunktionen in der Gesellschaft inne, die mit besonderen Privilegien verbunden waren, und haben diese Sonderrechte heute verloren. Jedes Jahr im Dezember, zum Todestag Ceauşescus, treffen sie sich an dessen Grab auf dem Bukarester Ghencea Friedhof.
Doch längst nicht alle Rumänen trauern den alten Zeiten nach. „Wir denken zu viel über die Vergangenheit nach. Man müsste eigentlich nach vorne blicken“, sagt Cristi Teodorescu (37), der mit Frau, Kind und Schwiegermutter in einer Zweizimmer-Wohnung lebt. Er träumt, wie viele Rumänen, von der Intimität eines eigenen Hauses, doch das Geld reicht dafür nicht aus. Er ist empört über die Politiker von heute und will, dass sich für ihn endlich etwas positiv verändert.
Drei Generationen teilen 80 Quadratmeter: Cristian Teodorescu, seine Frau Adina und Sohn Andrei teilen sich zwei Zimmer mit der Schwiegermutter / Laura Capatana Julla, n-ost
Davon ist Rumänien heute jedoch weit entfernt. Angesichts einer Arbeitslosenrate von 8,3 Prozent, einem Durchschnittslohn von umgerechnet 480 Euro, einer hohen Inflation, Korruption im Gerichtswesen und vielen anderen öffentlichen Bereichen, einer hohen Staatsverschuldung und diversen politischen Skandalen verlieren die Menschen zunehmend den Glauben, dass sich in ihrem Land etwas zum Besseren wenden könnte.
Wie Alexandru Solomon in seinem Film „Kapitalismus – unser Geheimrezept“ zeigt, wiederholen sich die Modelle von vor 1989 in den heutigen staatlichen Strukturen: „Korruption, politischer Karrierismus und die Beeinflussung der Justiz sind heute in allen politischen Parteien verbreitet“, sagt der Filmemacher.
Nicolae Ceauşescu wurde 1918 als Bauernsohn in Scornicesti geboren. Er lernte Schuhmacher. 1932 wurde er Mitglied der illegalen Kommunistischen Partei Rumäniens und dafür mehrfach jahrelang inhaftiert.
Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1947 begann seine steile Karriere in der Partei: Von 1965 an leitete Ceauşescu als Erster Sekretär des Zentralkomitees die Sozialistische Republik Rumänien. 1974 wurde er mit 56 Jahren jüngster Staatschef Europas. Zunächst vom Volk wegen seiner radikalen Abkehr von der sowjetischen Einflussnahme geliebt, wurde Ceauşescu mit den Jahren immer verhasster. Jegliche Oppositionsversuche unterdrückte er radikal. Lebensmittel, Strom und Treibstoff wurden rationiert. Nach Demonstrationen, die im Dezember 1989 im westrumänischen Temesvar begannen, kam es zu einem gewaltsamen Umsturz. Nicolae Ceauşescu und seine Frau Elena wurden am 25. Dezember 1989 hingerichtet.
Zugleich wissen viele, vor allem junge Rumänen die neuen Freiheiten zu schätzen: Meinungs-, Studien- und Reisefreiheit. Sie können heute Konsumgüter kaufen, die sie vor 20 Jahren nur vom Hören kannten. Stundenlang mussten sie oder ihre Eltern im Kommunismus vor fast leeren Geschäften Schlange stehen, um Fleisch, Milch und Käse zu kaufen. Delikatessen kannte man nicht. Elektrizität und ein Fernsehprogramm gab es nur einige Stunden am Tag, die Heizung funktionierte so gut wie nie.
Der Soros-Studie zufolge glaubten 2007 48 Prozent der Rumänen, ihr Leben im Kommunismus sei besser gewesen. 33 Prozent von insgesamt 2.000 Befragten sagten das Gegenteil, und elf Prozent sahen keine Veränderung in ihrem Leben vor und nach 1989. Unter Ceauşescu, darauf verweisen die Nostalgiker unter den Rumänen gern, habe es Arbeit und Wohnungen für alle gegeben, der Schulbesuch war Pflicht und die Kranken wurden auf Kosten des Staates versorgt.
Daran denkt auch die 59-jährige Verkäuferin Georgeta Margină aus Kronstadt / Braşov gern zurück. Für sie ist die Wohnung, in der sie seit den 70er Jahren mit Mutter, Bruder und Neffen lebt, das einzige, was sie hat. „Wir leben mit dem, was wir im Kommunismus erarbeitet haben. Heute könnte ich mir zum Beispiel keinen Kredit leisten“, sagt die Frau.
Der Neffe von Georgeta Margină ist Mitte 20 und wohnt noch immer bei der Familie. Ion Margină würde gerne in den Westen Europas ziehen, um gut zu verdienen. Mehr als eine Million Rumänen sind seit 1990 emigriert – auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Als Folge leben heute hunderttausende Kinder seit Jahren getrennt von ihren Eltern, in der Obhut von Verwandten, Bekannten oder allein. Auch das wäre früher, zu Ceauşescus Zeiten, nicht möglich gewesen. Das ist Ion Margină indes egal: „Ich weiß nicht viel über Ceauşescu und er interessiert mich auch nicht“, gibt er zu.
Diese Einstellung ist heute unter vielen, auch jungen Rumänen verbreitet. Es waren bisher vor allem Künstler und Intellektuelle, die die rumänische Vergangenheit aufgearbeitet und sich damit international einen Namen gemacht haben, so etwa Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller oder der Regisseur Cristian Mungiu, dessen Kinofilm „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ 2007 in Cannes die Goldene Palme gewann.
Doch mehr und mehr diskutieren auch die Menschen in Rumänien über ihre Vergangenheit – ausgelöst durch Lieder, Bücher, TV-Sendungen oder auch nur die Erwartung, dass der Staat im Winter den Schnee vor der Haustür wegfegt. Wichtig sei es, überhaupt über die Vergangenheit zu reden und daraus Schlüsse zu ziehen, sagt der Soziologe Mirel Bănică. „Jede Art von Bezugnahme auf den Kommunismus ist gut“, erklärt er. Alles trage zu einer Erinnerungskultur, die die eigene Vergangenheit „verwendbar“ mache, bei.