Bosnien-Herzegowina

Versöhnliche Botschaft aus einem gespaltenen Land

15 Jahre nach den blutigen Auseinandersetzungen in Bosnien und Herzegowina und dem Friedensabkommen von Dayton ist das Land 2010 zum ersten Mal mit einem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse vertreten. Die bislang fehlende Präsenz hat ihre Ursachen nicht etwa in der Abwesenheit lesenswerter bosnisch-herzegowinischer Literatur. Ganz im Gegenteil. Im deutschsprachigen Raum sind Werke von Miljenko Jergović, Alma Lazarevska, Dževad Karahasan, Stevan Tontić, Mile Stojić und Dragoslav Dedović seit langem präsent.

Dass die Bosnier und Herzegowiner erst die diesjährige Leipziger Buchmesse als literarischen Südosteuropa-Drehpunkt für sich entdeckt haben, hat vor allem mit dem politischen Machtgerangel in den nach dem Krieg entstandenen Bundesländern, den Entitäten, zu tun. Aufgrund eines fehlenden gemeinsamen Kulturministeriums konnten sich die bosniakisch-kroatische und die serbische Entität erst jetzt dazu durchringen, gemeinsam ihre Literatur vorzustellen. In den vergangenen Jahren war Bosnien und Herzegowina trotzdem auf der Buchmesse vertreten, allerdings nur als Teil in anderen Programmen, wie beispielsweise dem der Traduki-Stiftung.

Auch wenn ab morgen (18. März) bosnisch-herzegowinische Schriftsteller in Halle 4 zusammen auftreten, machen es ihnen ihre Politiker in der Heimat nicht gerade leicht. Ausgerechnet in diesen Tagen drohte das serbische Präsidiumsmitglied Bosnien und Herzegowinas, Nebojša Radmanović, mit dem Rücktritt aller serbisch-stämmigen Abgeordneten aus sämtlichen gemeinsamen Gremien, was der Lahmlegung aller Institutionen im Lande gleich käme. Der Grund: Sein bosniakischer Kollege in der dreiköpfigen Präsidentschaft, Haris Silajdžić, schlug sich auf die Seite von Ejub Ganić, einem bosniakisch-muslimischen Politiker, der aufgrund eines Interpolgesuchs aus Serbien jüngst in London verhaftetet wurde, weil er 1992 Kriegsverbrechen gegen serbische Soldaten befohlen haben soll.

Wegen solcher politischer Wirrnisse in Südosteruropa wirbt György Dalos aus Ungarn, der in diesem Jahr auf der Buchmesse den Preis für europäische Verständigung verliehen bekommt, für die Literatur als Dialog-Raum: „Die Politik ist manchmal allzu verkrampft. Ja, selbst die Länder beim Namen zu nennen, fällt der Politik manchmal schwer, und in solchen Fällen ist erst recht die Literatur gefragt.“

Davon kann auch Hana Stojić, Kuratorin des ersten gemeinsamen Messeauftritts von Bosnien und Herzegowina in Leipzig ein Lied singen. Sie ist froh, dass das Land diesmal mit einem Stand vertreten ist: „Wir haben eine deutschsprachige Publikation von 20 Autoren vorbereitet und werden mit Hilfe der Traduki-Stiftung am Samstag im Forum „Kleine Sprachen / große Literaturen“ ein Buch des Goethe Instituts Sarajevo präsentieren, in dem bosnisch-herzegowinische Schriftsteller über die rasante Veränderungen der Ortschaften in ihrem Land schreiben“, erklärte die Tochter des namhaften bosnisch-kroatischen Lyrikers Mile Stojić, die in Wien aufgewachsen ist.

Nach den bereits im deutschsprachigen Raum – hauptsächlich in Österreich – veröffentlichten Büchern bosnisch-herzegowinischer Schriftsteller ist inzwischen eine jüngere Generation im Kommen: selbstbewusst, klug, ironisch und mediengewandt. So zum Beispiel der 40-jährige Faruk Šehić aus Bihać, der als 20-Jähriger eingezogen wurde und den Krieg in der bosniakisch-muslimischen Armee erlebte. Die Prosa in seinem Erzählband „Unter Druck“ ist messerscharf, präzise und fern jeder Form von Pathos. Auch sein jüngerer bosnisch-serbischer Kollege, Radomir D. Mitrić aus Jajce, stellt seine weltläufige, melancholische Lyrik in Leipzig vor.

Aber wie so oft in den Regionen des multikulturell geprägten ehemaligen Jugoslawiens sind die ethnischen Mischidentitäten am interessantesten. Eine der hervorstechendsten Erscheinungen ist Goran Samardžić. Der 49-Jährige wurde in Sarajevo geboren, wo er heute lebt und das Kult-Café buybook sowie den gleichnamigen Verlag betreibt. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Belgrad. Dort befindet sich auch der Großstadtdschungel, aus dem er seine lakonisch-ironisierten Geschichten so erzählt, dass sie vor allem das jüngere deutsche Publikum begeistern dürften.

Im Jahre 1992 entschied sich der Serbe Samardžić, im von Serben eingekesselten Sarajevo zu bleiben. Er wurde mobilisiert und kämpfte in der Armee der kroatisch-muslimischen Verteidiger. Sowohl sprachlich als auch biografisch gehört Samardžić genauso zur bosnischen wie zur serbischen Literatur. Oder, wie er selbst leicht nostalgisch anmerkt: „Früher konnte man dieses Schubladendenken vermeiden, indem man sich als Jugoslawe deklarierte. Übrig geblieben von diesem gemeinsamen Land sind wir, die immer erklären müssen, dass es einfach nur langweilig ist, nur eine Identität zu haben.“ Erste, ins Deutsche übersetzte Leseproben aus seinem Bestseller „Waldgeist“ (Šumski duh), der untypischer Weise Bosnien, Kroatien und Serbien zugleich eroberte, werden dem deutschen Publikum in Leipzig erstmalig vorgestellt.


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