Auf Augenhöhe mit Belarus
Das „Theaterhaus Rudi“ ist eine kleine Bühne am Rande Dresdens. Normalerweise bietet die Spielstätte Amateurtheatergruppen Raum. An diesem Tag aber rückt sie von der Peripherie ins Zentrum des Geschehens. Jene, die an diesem Abend hier auftreten, sind auf keinen Fall Amateure. Das belarussische Nationaltheater kommt zu seinem ersten Gastspiel in Deutschland ausgerechnet hierher.
Das Interesse ist groß, die Reihen des Vororttheaters füllen sich schnell. „SW. Der Kirschgarten“ nach Anton Tschechow steht auf dem Programm. Das „SW“ steht umgekehrt für den russischen Titel „Wischnjowy sad“, aber auch für die Abkürzung russischer Schlafwaggons im Zug. „Generell gesagt geht es um die Situation des einzelnen Menschen in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels. Alles ist in Bewegung“, führt Iryna Herasimovich in das Thema ein. Die junge Belarussin arbeitet als Robert Bosch Kulturmanagerin beim Literaturbüro Dresden und hat das renommierte Theater in die sächsische Hauptstadt geholt.
Bewegung ist jedoch auch das Stichwort für die Inszenierung, denn es handelt sich um eine Mischung aus Pantomime und Tanztheater, die fast ohne Worte auskommt. „Das ist sehr untypisch für uns, aber ich bin froh, dass wir gerade dieses Stück hier zeigen können“, sagt Mikalaj Pinigin, Intendant des Janka-Kupala-Theaters und zugleich einer der profiliertesten Regisseure seines Landes. „Als Nationaltheater sind wir dazu da, Tradition zu wahren. Dabei bleibt die Formenvielfalt leider gelegentlich auf der Strecke.“
Kostengünstige Requisite
Die Inszenierung hat aber noch einen ganz praktischen Vorteil. Sie verlangt keine aufwändige Requisite. Ein Kirschbaum, ein Schrank und sehr viele Koffer für die heimatlosen Reisenden in dem Stück. Damit ließen sich die Kosten für das Gastspiel zugleich auf ein Minimum beschränken. Nicht im bequemen Schlafwaggon, sondern per Bus ist das Ensemble des Nationaltheaters in 36-stündiger Fahrt nach Dresden gekommen. Die 19 Künstler nehmen die ganzen Strapazen gern auf sich. Für sie zählt, überhaupt hier zu sein. „Wir brauchen viel mehr Austausch“, findet Pinigin.
Eigentlich hatte es ein ganzes Theaterfestival werden sollen. Unter dem Titel „BY-Spiele“ sollten stellvertretend für alle belarussischen Theater ursprünglich zwei Ensembles auftreten und eine Schau der Theaterszene organisiert werden. „Es ist nicht einfach, belarussische Theater nach Deutschland zu bringen“, seufzt Iryna Herasimovich, der dieses Kunststück nun immerhin gelungen ist. Aber für so ein Projekt Geld zu bekommen, ist sehr schwer, noch dazu in Zeiten der Wirtschaftskrise.
Das hängt vor allem mit der Wahrnehmung von Belarus in Deutschland zusammen, und geht schon mit dem Namen los. „In Deutschland sprechen viele von Weißrussland. Damit wird bei uns aber die frühere Sowjetrepublik verbunden, unser richtiger Name ist Belarus“, klärt die gebürtige Belarussin nicht zum ersten Mal ein grundlegendes Missverständnis auf. Und dann ist da der Präsident Alexander Lukaschenko, genannt der „letzte Diktator Europas“, der in Deutschland das Bild über den seit 1991 unabhängigen Staat beherrscht.
Treuer Verbündeter
Aus dem unbedingten Willen heraus, dieses Bild zurechtzurücken, zog die 30-jährige die Energie, auch ein so ambitioniertes Projekt wie das Theaterfestival umzusetzen. Dabei stand von Anfang an fest, dass das Janka-Kupala-Theater mit seinem Intendanten Pinigin eingeladen werden sollten. „Er ist der beste Regisseur, den wir haben“, verschweigt Herasimovich nicht ihre Begeisterung. Auch wenn sie am Ende viele Abstriche machen musste, hinter dieses Vorhaben wollte die Frau mit dem nahezu akzentfreien Deutsch nicht zurück. Und sie hat sich trotz aller Widrigkeiten durchgesetzt.
Treuester Verbündeter war für die Kulturmanagerin die Robert Bosch Stiftung. Sie hat ihr den einjährigen Aufenthalt in Dresden überhaupt erst vermittelt. Gemeinsam mit elf Kolleginnen und Kollegen aus Mittel- und Osteuropa nimmt Herasimovich an dem Kulturmanager-Programm der Stiftung teil. Darin enthalten ist eine fundierte Fachausbildung und wertvolle Praxiserfahrung.
Respektvolles Interesse
Aber das Geld von der Stiftung reichte für so ein großes Projekt wie das Theatergastspiel nicht aus. „Deutschland hat durchaus Interesse am Ausland, aber häufig in Erwartung von etwas Exotischem“, ist ihre Erfahrung. In Dresden und speziell im dortigen Literaturbüro ist sie dagegen auf respektvolles Interesse gestoßen. „Es hat mich maximal unterstützt. Ein Kollege übernahm kurzfristig die Moderation für die Podiumsdiskussion, nachdem der ursprüngliche Kandidat abgesagt hatte.“ Entscheidend war, dass Herasimovich die Arbeit auf viele Schultern verteilte. Ihre Unterstützer waren dabei so international wie sie selbst, da zu ihnen neben der Stadt Dresden auch das Goethe-Institut in Minsk gehört.
Besonders stolz ist Iryna Herasimovich aber auf die Hilfe durch das belarussische Kulturministerium. Zur Aufführung reiste extra der neue Botschafter aus Berlin an. Das war eine wichtige Erfahrung für sie. Mit ihren bisherigen Literaturprojekten war das für sie unvorstellbar. Doch das Nationaltheater öffnet zumindest in Minsk leichter Türen.
Auch das „Theaterhaus Rudi“ hatte sie schnell auf ihrer Seite. „Dieses Projekt ist das Ergebnis gemeinsamer Arbeit vieler Akteure. Für uns war gleich klar, dass wir uns daran beteiligen“, unterstreicht Katrin Gawel, die das Amateurtheater leitet. Für sie findet das erste Gastspiel eines belarussischen Theaters wegen der lebendigen Theaterszene vor Ort ganz zu Recht in Dresden statt. Die Arbeit von Herasimovich sei dabei nicht hoch genug einzuschätzen. Bis zum Schluss hing der Auftritt am seidenen Faden, weshalb auch der Termin lange Zeit nicht veröffentlicht werden konnte.
Iryna Herasimowich / privat
Spiel mit der Sprachlosigkeit
Am Ende kommt aber nicht nur der belarussische Botschafter. Herasimovich ist es gelungen, den Veranstaltungstipp prominent in einer der Dresdner Tageszeitungen zu platzieren. Die Podiumsdiskussion mit Intendant Pinigin ist bis auf den letzten Platz gefüllt, das folgende Theaterstück wird mit stehenden Ovationen bedacht und erhält sogar eine Zeitungskritik. Das nüchterne Bühnenbild wird durch Licht-Schatten-Effekte und die rasante Spielfreude bereichert. Die Schauspieler, die sonst zu Sprechen gewohnt sind, beherrschen Gestik und Mimik mühelos. Darüber hinaus kommen Puppen und Masken zum Einsatz.
„Das belarussische Theater profitiert allgemein von der russischen Schauspielschule und dem Austausch mit russischen Theatern“, erklärt Intendant Mikalaj Pinigin, der selbst als Regisseur in Sankt Petersburg gearbeitet hat. Gleichzeitig muss Pinigin wie in Dresden auch vor heimischem Publikum ein Sprach-Dilemma lösen. Denn alle Stücke werden am Nationaltheater ausnahmslos auf Belarussisch aufgeführt. Der Sprache sind zwar die meisten im Land mächtig, nur ein kleiner Teil spricht sie aber. Die meisten verständigen sich in einer umgangssprachlichen Version. „Gerade deshalb kommen die Leute zu uns, um die Sprache ihrer Vorfahren zu hören“, unterstreicht Pinigin den Bildungsauftrag des Theaters.
Die Sprache, und nicht nur die belarussische, stand schon immer im Mittelpunkt von Iryna Herasimovichs Arbeit. Neben Germanistik studierte sie Englisch, Literaturwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaft. Es ist kein Zufall, dass sie ausgerechnet bei dem Literaturbüro gelandet ist. Sie wird ihr neben dem Kulturmanagement auch in Zukunft treu bleiben, denn das Gastspiel des belarussischen Theaters war nicht nur der Höhepunkt ihres einjährigen Aufenthalts in Dresden, sondern stand auch fast an seinem Ende. Zurück in Minsk will sie ein Literaturbüro gründen, das mit dem in Dresden zusammenarbeiten und sich um die Vermittlung deutscher und belarussischer Literatur kümmern soll.
Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung entstanden.
Informationen zum Programm Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa finden Sie unter www.moe-kulturmanager.de.