Tom und Jerry in der Politik
Ukrainische Innenpolitik ist ein bisschen wie Tom und Jerry. Da werden Holzkeulen geschwungen, Bomben gezündet, man überfährt einander mit Dampfwalzen und legt Fallen. Aber auch, wenn einer den anderen mit einer Rakete auf den Mond schießen will, landet der doch immer wieder zielsicher vor der Nase des anderen: mit Beulen, rußgeschwärzt, aber quicklebendig – und die Verfolgungsjagd geht weiter.
Am Sonntag wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. Die Stichwahl zwischen Premierministerin Julia Timoschenko und Oppositionschef Viktor Janukowitsch ist die Wahl zwischen zwei politischen Stehaufmännchen. Wer die Maus ist in diesem Spiel und wer die Katze, bleibt der Fantasie überlassen.
Timoschenko und Janukowitsch haben viel gemeinsam. Vor allem, dass sie keine Möglichkeit auslassen, einander anzuschwärzen – auch wenn politische Differenzen eigentlich keine Rolle mehr spielen. Beide propagieren eine Annäherung an die EU und wollen zugleich freundliche Beziehungen zu Russland. Beide haben sich mit Moskau arrangiert und Moskau kann mittlerweile mit beiden sehr gut. Worum es jetzt geht, ist nur noch der Sieg – und um den wird mit allen Mitteln gekämpft.
Den letzten Keulenschlag in der Wahlschlacht landete Janukowitsch: Nur wenige Tage vor der Abstimmung boxte er eine Änderung des Wahlgesetzes durchs Parlament. Dabei geht es um die Zusammensetzung der Wahlkommission und die Beschlussfähigkeit derselben durch eine nun nicht mehr verpflichtende Zwei-Drittel-Mehrheit. Janukowitsch behauptete, damit einen Boykott der Abstimmung durch Timoschenko-Leute abgewendet zu haben. Timoschenko hingegen befürchtet, dass Wahlfälschung – natürlich für Janukowitsch – nun Tür und Tor geöffnet ist.
Und so lief es den ganzen Wahlkampf hindurch. Da enthob das Parlament den Innenminister überfallartig seines Amtes. Man streute Gerüchte, Janukowitsch würde massenhaft Schläger und Paramilitärs nach Kiew verfrachten. Die Staatsdruckerei wurde besetzt, weil dort laut Janukowitsch angeblich zu viele Wahlzettel gedruckt wurden, um die Abstimmung zu manipulieren. Nichts Neues also zwischen den beiden Uralt-Rivalen.
Timoschenko und Janukowitsch verbindet eine lange gemeinsame Geschichte in der ukrainischen Wirtschaft und Politik – und gegenseitige Freundlichkeiten spielen darin keine große Rolle. Sie ist aus Dnepropetrovsk, er kommt aus dem Donezbecken. Sie begann ihre wirtschaftliche Karriere mit einer Videoverleih-Kette, er als Manager im Regionalverkehrs-Business. Alle beide haben ein Gefängnis schon einmal von innen gesehen: Janukowitsch zweimal in Jugendjahren wegen Raubüberfall und Vergewaltigung, Timoschenko in den 90er Jahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung in Gasgeschäften (daher ihr Spitzname „Gasprinzessin“) – wobei ihre Verurteilung vor allem als politisch motiviert beurteilt wurde.
Ihre ersten wirklichen Zusammenstöße erlebten die beiden im Vorfeld und während der Orangen Revolution 2004. Timoschenko ließ damals als Einpeitscherin des eigentlichen Kandidaten und künftigen Präsidenten Viktor Juschtschenko keine Chance aus, um dessen Gegner Janukowitsch zu blamieren. Offene Flanken bot er damals zu Genüge. Etwa, als er – ohnehin schon als Kettenhund Moskaus kritisiert – Russlands damaligen Präsident Wladimir Putin bei einer Militärparade ein Bonbon anbot und der breit grinsend ablehnte. Oder, als er wie tödlich getroffen nieder sank und sich wegtragen ließ, nachdem ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung ein Ei getroffen hatte.
Der Rüpel von damals hat inzwischen gelernt, sich staatstragend zu präsentieren. Seine Reden aber sind zuweilen nach wie vor von haarsträubender Qualität. Worauf Janukowitsch mit seiner Partei der Regionen vor allem zählen kann ist eine gefestigte Anhängerschaft – etwas, das Timoschenko nicht hat. Ihre Chance liegt viel eher in der Gegnerschaft zu Janukowitsch, die ebenso gefestigt ist.
Das Manko beider Politiker ist: Ihr Agieren wirkt wie ein eingespielter Comic-Film mit fester Rollenverteilung, in dem man ganz genau weiß, wer wann die Keule schwingt. Eine Episode einer eilig einberufenen abendlichen Regierungssitzung im Hause Timoschenko macht momentan in den Ministerien die Runde: „Da stand auf einmal ein Abgeordneter der Partei der Regionen in Unterhosen und Socken im Zimmer – ihr Lebensgefährte.“ Wie bei Tom und Jerry eben.