Kiffen ohne Angst
Tschechien hat jetzt die liberalsten Drogenbestimmungen, bei der Prävention hapert es aber
(n-ost) – Wenn die Rede auf die neue Rauschmittel-Anordnung der Regierung kommt, atmet Restaurantbetreiber David Polita hörbar auf. „Endlich können wir ohne Angst einen Joint rauchen. Die hinterhältige Anzählerei durch Nachbarn hat ein Ende.“ Polita fühlt sich bestätigt. Seit Jahren kämpft er mit seinem Restaurant „Maha 4 All“ im nordböhmischen Usti nad Labem für eine Legalisierung von Hanf. Seine Begründung: „Das ist eine hiesige Kulturpflanze.“ Und seine Gäste sehen das genau so. Schon ab dem frühen Nachmittag zieht der charakteristische Duft von Marihuana durch den Raum.
Erstmals hat die Regierung nun Obergrenzen für den Besitz von Rauschmitteln festgelegt, die in ihrer Großzügigkeit Tschechien zum liberalsten Land Europas machen. Drogenbesitz bleibt zwar weiterhin strafbar, aber bis zu den seit dem 1. Januar geltenden Limits passiert nichts. Für den Eigenbedarf sind bis zu 15 Gramm Marihuana oder 5 Gramm Haschisch erlaubt. Genehmigt ist aber auch der Besitz härterer Drogen wie Pervitin (2 Gramm), Heroin (1,5 Gramm), Kokain (1 Gramm) oder Ecstasy (4 Pillen). Das ist teils dreimal soviel, wie in Holland erlaubt ist. Auch beim Anbau von bis zu fünf Hanfpflanzen gibt es keine Anzeige mehr.
Die festen Obergrenzen ersetzen eine bisher schwammige Regelung, nach der eine „geringe Menge“ an Drogenbesitz erlaubt war. Die vergleichsweise repressive Gesetzeslage verpflichtete die Polizei aber dazu, auch kleinsten Verstößen nachzugehen. Erst die Gerichte schätzten ein, ob es sich bei den sicher gestellten Drogen um eine „geringe Menge“ handelte. Angesichts der massiven Verbreitung von Drogenkonsum in Tschechien konnten diese gar nicht anders, als wohlwollende Urteile zu fällen. Die Regierung hat dieser Praxis nun eine gesetzliche Grundlage gegeben. Nunmehr befreit von der Beschäftigung mit geringem Drogenkonsum, soll sich die Polizei stärker um die Verfolgung von Produktion und Verbreitung von Drogen kümmern können, hofft die Regierung. Denn die Zahl der Pervitinküchen und Hanffelder ist den letzten Jahren sprunghaft angestiegen.
Das Rauchen von Marihuana ist in Tschechien faktisch Teil der Jugendkultur. „Wenn die Leute mehr kiffen würden, könnten sie sich nicht so viel belügen und würden vielleicht aufhören, sich gegenseitig zu verlassen“, empfahl schon im Jahr 2000 Schauspieler Jiri Machacek in dem äußerst populären Film „Samotari“ (Einzelgänger) Marihuana als Allheilmittel für alle Lebenslagen. Auf der Liste der Länder mit den meisten jugendlichen Drogenkonsumenten unter 24 Jahren steht Tschechien laut einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) europaweit an der Spitze. Aber auch bei Ecstasy ist das Land uneinholbar vorn. Schon 15 Prozent der Tschechen haben es probiert, der europäische Durchschnitt liegt bei gerade einmal sechs Prozent. Aber auch was eine liberale Drogenpolitik angeht, gehört Tschechien zu den Vorreitern. Mit Pavel Bem ist einer der Verfechter dieser Politik heute sogar Bürgermeister von Prag.
Der frühere Drogenbeauftragte der Regierung, Josef Radimecky, bewertet die Regelung uneingeschränkt positiv. „Die Leute geben jetzt eher ihre Drogenabhängigkeit zu, weil sie nicht mehr fürchten müssen, von der Polizei behelligt zu werden. Das erleichtert auch ungemein die Arbeit unserer Sozialarbeiter, die jetzt stärker von den Drogenkonsumenten akzeptiert werden“, sagt Radimecky, der zugleich Gründer der Hilfsorganisation „White light“ ist, die sich um Drogenabhängige kümmert. „Die repressive Politik hat keine Früchte getragen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass wir im Gegenteil lernen müssen, mit den Drogen zu leben. Der einzige Ausweg ist eine umfassende Prävention“, so Radimecky weiter.
Aber daran hapert es. Während die gesellschaftliche Toleranz ähnlich hoch ist wie in den Niederlanden, hinkt Tschechien bei den Ausgaben für die vorbeugende Aufklärung dem Land an der Nordsee weit hinterher. Die Ursache hierfür sieht Radimecky in der hohen gesellschaftlichen Akzeptanz, die in Tschechien erlaubte Suchtmittel wie Tabak und vor allem Alkohol haben: „Bier ist ja bei uns bei uns gewissermaßen ein Nationalgetränk.“ Während die 30.000 Drogenabhängigen seiner Ansicht nach sinnlos kriminalisiert werden, bleiben die 300.000 Menschen mit einem schweren Alkoholproblem tabuisiert. „Dafür sind wir das einzige Land in Europa, in dem noch so massiv für Alkohol und Tabak geworben werden darf. Paradoxerweise geschieht das häufig im Zusammenhang mit Sportereignissen“, prangert Radimecky an.
Indessen keimen vor allem bei Restaurant- und Klubbetreibern Hoffnungen, Prag und weitere Städte Tschechiens könnten ein zweites Amsterdam werden, das in Scharen Cannabis-Touristen anzieht. David Polita vom „Maha 4 All“ bleibt da bescheiden. „Wir sind jetzt einfach nur froh, dass es bei uns weniger Repressionen gibt als anderswo“, sagt er mit einem Augenzwinkern in Richtung seiner deutschen Nachbarn. Aber gegen Touristen, die aus Deutschland kommen, um in seinem Lokal in Ruhe einen Joint zu rauchen, hätte auch er nichts einzuwenden.
Steffen Neumann
ENDE
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