Entschädigung für eine menschenunwürdige Zugfahrt
Die Deutsche Bahn will auf die polnische Schiene expandieren. Polnische KZ-Überlebende fordern indes Entschädigung für Häftlingstransporte
(n-ost) – Vier Tage nach seinem 18. Geburtstag ist Stanislaw Zalewski zum ersten Mal mit einer deutschen Eisenbahn gereist. Als Reise kann es aber nicht bezeichnet werden, es wurde eine Fahrt, die er seitdem nicht vergessen kann. Zusammen mit Dutzenden anderen Männern wurde der junge Warschauer in einen Güterwaggon gepfercht, Endstation: Auschwitz. „Wenn einer sitzen wollte, mussten die anderen stehen“, beschreibt der heute 84-Jährige die engen Platzverhältnisse während der stundenlangen Reise. Heute, 66 Jahre nach der Deportation durch die Reichsbahn, fordert er als Vorsitzender des Vereins ehemaliger KZ-Insassen von der Deutschen Bahn AG eine Entschädigung.
Polnische Medien sehen in der Entschädigungsforderung der beiden großen polnischen NS-Opferverbände an die Bahn eine Resonanz auf die Expansionspläne des deutschen Transportunternehmens. Im Gütertransport ist eine polnische DB-Tochter bereits das größte private Eisenbahnunternehmen in Polen. Eine vom EU-Parlament durchgesetzte Bahnliberalisierung macht es jetzt möglich, dass die Deutsche Bahn auch auf den polnischen Personenverkehr schielt. Die Bahn-Tochter DB-Polska bemüht sich bei der Warschauer Transportbehörde um eine Lizenz für den Personenverkehr, wie die Bahn und ein Behördensprecher bestätigten.
Porträt von Stanislaw Zalewski, Vorsitzender des Vereins für ehemalige polnische KZ-Häftlinge. Foto: Markus Nowak.
Opferverbandschef Zalewski widerspricht aber den Mutmaßungen der Medien. Der Zeitpunkt für die Pressekonferenz der Opferverbände am Mittwoch sei ein Zufall gewesen. Dennoch sei durch den zeitgleichen Termin ein hohes Interesse für das Anliegen der Opfer entstanden, freut er sich. „Aber es ist auch eine Werbung für die Bahn“, sagt er.
In einer Stellungnahme weist die Bahn darauf hin, dass der heutige Konzern Deutsche Bahn AG nicht die Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn sei. „Ihrer historischen Verantwortung ist sich die Deutsche Bahn AG dessen ungeachtet bewusst“, sagte ein Sprecher. Er verweist auf die Millionenzahlungen an den so genannten Zwangsarbeiterfond der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Zudem stelle sich die Bahn der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Eisenbahn im nationalsozialistischen Deutschland, etwa mit dem Mahnmal „Gleis 17“ in Berlin-Grunewald oder einer Abteilung im Eisenbahnmuseum in Nürnberg.
Die polnischen Opfer erwarten dagegen ein Entgegenkommen der Bahn, das auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Rund 7.000 KZ-Überlebende leben schätzungsweise noch zwischen Oder und Bug. In einer gemeinsamen Erklärung der Opferverbände wird darauf hingewiesen, die meisten von ihnen seien „fortgeschrittenen Alters, erkrankt und oft in einer schwierigen materiellen Lage“. Zalewski fasst die Forderung seines Opferverbandes zusammen: „Wir wollen ohne Druck und Gerichtsprozesse eine Hilfe in materieller oder finanzieller Form für ehemalige KZ-Häftlinge von der Deutschen Bahn erhalten“.
Einen Lösungsvorschlag hat derweil Hans-Rüdiger Minow ausgearbeitet. Er ist Vorsitzender des Vereins „Zug der Erinnerung“, der in Deutschland mit einer Ausstellung an Deportationen durch die Reichsbahn erinnert. Die polnischen Nazi-Opfer könnten sich der Unterstützung des Vereins bei ihrer Entschädigungsforderung gegen die Deutsche Bahn sicher sein, sagte Minow. So erstellte der Verein ein Gutachten, das die Transporteinnahmen der Reichsbahn bei Deportationen auf den heutigen Gegenwert von mindestens 450 Millionen Euro beziffert. Minows Vorschlag an die Bahn lautet, einen Hilfsfonds einzurichten. Seiner Meinung nach gehe es nun darum, ob die Deutsche Bahn AG und die Bundesregierung akzeptieren, dass sie Restitution leisten müssen. „Tun sie das nicht und sagen, alle Ansprüche sind abgegolten, wird es im 175. Jahr des deutschen Eisenbahnwesens Ärger geben“, gibt Minow zu bedenken.
Ärger will der Verbandschef und ehemalige KZ-Häftling Zalewski eigentlich nicht. Auch einen Prozess gegen den Konzern lehnt er ab, „aber in die Zukunft kann ich nicht blicken“, sagt der 84-Jährige. Seine letzte Fahrt mit einem deutschen Zug war die Deportation nach Auschwitz nicht. Im Kriegsverlauf wurde er mit der Reichsbahn noch in das Lager Mauthausen nach Österreich gebracht. Wird die Deutsche Bahn mit einem Tochterunternehmen in der Zukunft auf polnischen Schienen unterwegs sein, so schließt er auch nicht aus, wieder einen deutschen Waggon zu besteigen. „Ich habe nur einen Wunsch: unter menschenwürdigen Verhältnissen zu reisen“, sagt er.
Markus Nowak
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