Deutsche Bahn will auf polnische Schienen
In Deutschland steht die Bahn in der Kritik, in Polen dagegen hoffen Fahrgäste auf „deutsche Pünktlichkeit“
(n-ost) – Es muss schon ein besonderer deutscher Investor den polnischen Wirtschaftsstandort betreten wollen, um es noch in die Schlagzeilen der polnischen Medien zu schaffen. Das zeigt, wie sehr die engen Wirtschaftsbeziehungen beider Länder zum Alltag gehören. In den vergangenen Tagen füllte dennoch ein deutsches Investitionsvorhaben die Finanzteile der polnischen Zeitungen und wurde zudem in höchsten Tönen gelobt. Die polnische Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, die DB Polska, bemüht sich bei der Warschauer Transportbehörde (UTK) um eine Lizenz für den Personenverkehr.
Die Headlines der polnischen Medien darauf reichten von Nüchternheit („Deutsche Züge auf polnischen Schienen“) bis hin zur Euphorie („Deutsche Pünktlichkeit gegen polnische Nostalgie“). Dabei stehen noch keine konkreten Pläne über das verstärkte Engagement der Bahn in Polen fest. Aus der Konzernzentrale in Berlin wird nur der Antrag bei der UTK bestätigt. Auch der Vizechef der Transportbehörde Miroslaw Antonowicz nennt keine Details des Antrags, nicht einmal die Dauer der Prüfung. Lediglich auf das vom EU-Parlament durchgesetzte „Dritte Eisenbahnpaket“ wird verwiesen, das die Grundlage des Antrags der polnischen DB-Tochter ist.
Denn das Paket liberalisiert die Eisenbahnmärkte: Vom 1. Januar an kann jeder Anbieter überall in der Europäischen Union seine Züge rollen lassen – auch grenzüberschreitend und gegen den Widerstand der bislang dominierenden Staatskonzerne. Die Reform soll Schwung in die bisher fast national geregelten Märkte bringen, ähnlich wie die Liberalisierung des Flugverkehrs in den 1990er Jahren. Der DB-Konzern nutzt das und schielt nicht nur auf den polnischen Eisenbahnmarkt. Dagegen muss die Bahn auf der heimischen Schiene nun selbst Konkurrenz von französischen Wettbewerbern fürchten.
Der Stettiner Hauptbahnhof im Abendlicht. Die Deutsche Bahn könnte künftig über ihre polnische Tochtergesellschaft Passagiere auch in Polen transportieren. Foto: Markus Nowak.
Von Verdrängungsangst ist indes in der Warschauer Zentrale der Staatsbahnen (PKP), einer Aktiengesellschaft in Staatshand, nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. „Wir sehen das als eine Chance für die Erweiterung unserer bisherigen Zusammenarbeit“, erklärt Pawel Ney, Sprecher der PKP-Tochter PKP-Intercity.
Mit PKP-Intercity, das zwischen Oder und Bug für den Fernverkehr auf der Schiene zuständig ist, kooperiert die Deutsche Bahn seit Jahren auf internationalen Strecken. Der Eurocity „Wawel“ von Hamburg bis Krakau sowie der Berlin-Warszawa-Express, der die beiden Hauptstädte verbindet, werden von den Konzernen an Spree und Weichsel als ertragreich dargestellt.
Die scheinbare Gelassenheit der polnischen Bahn dürfte aber nicht nur an der bisherigen „fruchtbaren Kooperation“, wie PKP-Sprecher Michal Wrzosek sie nennt, liegen, sondern vielmehr daran, dass der polnische Eisenbahnmarkt noch nicht gesättigt ist. Zu Beginn der 1990er Jahre seien noch bis zu 500 Millionen Passagiere jährlich transportiert worden, 2005 aber waren es nur halb so viele, rechnet PKP-Sprecher Michal Wrzosek vor. Der drastische Rückgang der Zugreisenden erklärt sich aus der Popularisierung des Autoverkehrs in den 1990er Jahren.
Ähnlich wie in der ehemaligen DDR konnten sich erst in der postkommunistischen Ära viele Polen ein Auto kaufen: Waren 1990 neun Millionen Autos auf polnischen Straßen unterwegs, sind derzeit rund 20 Millionen gemeldet. PKP-Sprecher Wrzosek glaubt, langfristig ließen sich Passagierzahlen von 350 bis 400 Millionen jährlich erzielen. Seit 2005 fahren immer mehr Polen wieder Zug, etwa wegen der höheren Spritkosten und nicht zuletzt wegen des fehlenden Autobahnnetzes. Momentan verfügt das Land über 800 Autobahnkilometer, die Metropole Warschau ist bislang nicht daran angeschlossen.
Als lukrativ dürften sich daher die Zugverbindungen zwischen der polnischen Hauptstadt und etwa dem oberschlesischen Zentrum Kattowitz oder der Ostee-Metropole Danzig erweisen. Als „Medienspekulationen“ weist ein DB-Sprecher allerdings entsprechende Berichte polnischer Zeitungen über konkrete Streckenpläne zurück.
Die Bahn-Tochter wird es im polnischen Wettbewerb nicht leicht haben, was die Preispolitik angeht: Während ein Ticket von Hamburg nach Berlin ohne Bahncard 70 Euro kostet, ist die etwa ebenso weite Fahrt von Posen nach Warschau für rund einen Drittel des Preises zu haben. Aber sie dauert im PKP-Intercity rund eine Stunde mehr als im ICE der Bahn. Denn Polen verfügt bisher über kein Netz für Hochgeschwindigkeitszüge. Die meisten Züge verkehren auf dem fast 20.000-Kilometer-Schienennetz nicht schneller als 80 km/h, nur ein Bruchteil erreicht den polnischen Spitzenwert von 160 km/h.
Höheres Tempo auf der Schiene, eine Steigerung des Komforts und die oft nachgesagte „deutsche Pünktlichkeit“, das erhoffen sich Zugreisende vom noch größeren Engagement der Deutschen Bahn in Polen. Dass die Tochter des bahneigenen Transportunternehmens Schenker Rail Polska im vergangenen Jahr 6.000 Mitarbeiter beschäftigte und nach eigenen Angaben bereits das größte private Eisenbahnunternehmen Polens ist, ist den meisten unbekannt. So glaubt etwa der Gastronom Krzysztof Korczynski aus Warschau, „der Komfort in den Zügen wird steigen“. Auch die Studentin Anna Woznica aus Thorn zeigt sich euphorisch: „Die Konkurrenz lässt die Ticketpreise fallen.“ Und: Der Fahrplan werde eingehalten.
Vom deutschen Bahnchaos nach dem Wintereinbruch der letzten Tage oder dem wochenlangen Berliner S-Bahn-Durcheinander wissen die beiden Polen nichts. Darüber wird in den polnischen Medien kaum berichtet. Das kommt dem Konzern gelegen: Bei der Bahn in Berlin lautet die Devise, die angestrebte Personenbeförderung in Polen und die Pannenserie in Deutschland „seien zwei verschiedene paar Schuhe.“
Markus Nowak
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