Polen

Proteste gegen Handelsabkommen Acta

Polen erlebt in diesen Wochen zur Überraschung der politischen Eliten die größten Massenproteste seit der Solidarnosc-Bewegung. In allen größeren und kleineren Städten demonstrieren meist junge Menschen gegen das von der polnischen Regierung bereits unterzeichnete ACTA-Abkommen zum internationalen Urheberrecht. Neben klassischen Straßendemonstrationen legten Anti-ACTA-Aktivisten auch die Regierungswebseiten für mehrere Tage lahm und sammelten in kürzester Zeit eine halbe Million Unterschriften für ihr Anliegen.

In den osteuropäischen Ländern ist der Unmut über die Pläne besonders groß, das „Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen“ durchzudrücken. In Tschechien gingen Hunderte trotz eisiger Kälte auf die Straßen. Auf der größten Demonstration, die zur Prager Burg führte, den Amtssitz des Präsidenten, waren es sogar mehrere Tausend. Auch an diesem Samstag (11. Februar) werden wieder Demonstrationen erwartet, unabhängig davon, dass in Tschechien und anderen Ländern neue Kälterekorde erwartet werden. Die Botschaft ist eindeutig: Das ACTA-Abkommen darf nicht ratifiziert werden.

„Wir können das nicht anders auffassen als einen Angriff auf unsere Freiheit. Die haben zwar nicht wir erkämpft, sondern unsere Eltern, aber wir lassen sie uns nicht mehr nehmen“, formulierte Pavel, ein Student der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität, stellvertretend für viele.

In den postkommunistischen Ländern reagiert man besonders empfindlich, wenn es an Werte zu gehen scheint, die vor allem die junge „Generation Internet“ in ihren Freiheiten beschneiden könnte. Mit Erfolg: Die Regierungen in Polen, Tschechien und Lettland haben das Ratifizierungsverfahren gestoppt. Auch die tschechische Datenschutzbehörde hat sich auf die Seite der Piraten geschlagen, die sich aus Protest in mehrere Internetseiten von Parteien und Regierungsbehörden eingehackt hatten. Die Datenschützer nannten ACTA mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte „unausgewogen“.

Die Ursachen der Proteste liegen aber tiefer. Das Grundproblem in diesem Fall ist die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der politischen Kultur und der politischen Klasse, wie sie sich beispielsweise in Polen in den letzten 20 Jahren herausgebildet haben. Sachliche politische Aushandlungsprozesse finden nicht statt, stattdessen befehden sich Politiker in permanenten niveaulosen Schlammschlachten. Demokratische Rückkoppelung gibt es nur bei Wahlen, dazwischen meinen die Machthaber, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Große Teile der jüngeren Generation haben sich dieser Sphäre gar nicht erst zugewandt, sondern ihr Aktionsfeld im globalisierten Internet gefunden, dessen Freiheit sie jetzt bedroht sehen.

Ein völlig konsternierter polnischer Ministerpräsident Donald Tusk gab auf der ersten mit ihm zu diesem Thema anberaumten Diskussionsveranstaltung zu, keine wirklich Ahnung von diesem Feld zu haben und darum nicht immer sensibel genug damit umgegangen zu sein. Am Ende sagte er zu, sich für die Freiheit im Internet, den Zugang zu kulturellen Gütern für alle und eine Revision des Urheberrechts einzusetzen. Da seine Regierung ACTA aber bereits unterzeichnet hat, dürfte dies ein schwieriger Drahtseilakt werden.


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