Polen

Vom bitteren Ende des Weihnachtskarpfens

Aufgewachsen ist er in einem Teich in der Kaschubei bei Danzig. Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis unser Karpfen mehr als ein Kilogramm wog. Diese Zeit war nicht ungefährlich, denn da gab es Angler, die ihm verbotenerweise nachstellten. Edmund Kieszkowski vom Danziger Anglerkreis versucht das zu verhindern. Er überwacht die Seen in der Kaschubei. Aber alle Feinde kann selbst er nicht von den Karpfen fern halten. Einige lauern unter Wasser: „Die größte Gefahr für den Karpfen sind Hecht, Zander und Barsch. Ein weiterer Wilderer ist der Kormoran“, zählt Kieszkowski auf. Unser braver Karpfen hat die schwierige Phase unter Wasser heil überstanden. Aber vor ein paar Tagen wurde er in einem Netz gefangen und landete in einer Wanne im Supermarkt. Da war es zuerst ziemlich eng. Aber dann verschwand einer seiner Leidensgenossen nach dem anderen. Endlich kam auch unser Karpfen an die Reihe. Der kräftige Fischhändler mit dem glühenden Gesicht zeigte ihn einer Kundin.

Krystyna Liman nickte, aber einen lebendigen Karpfen kaufen wollte sie nicht. Doch der Fischhändler hatte nichts anderes im Angebot. Und den Fisch töten, sagte er, dürfe er nicht. Drehte sich also um, gab dem Karpfen einen harten Schlag auf den Kopf und verfrachtete ihn in eine Plastiktüte. 


Rätselhaftes Schild über der Fischtheke: „Betäubung der Karpfen nur auf Wunsch der Kunden". Foto: Katarzyna Tuszynska.

Doch das bittere Schicksal unseren tapferen Kameraden ist noch nicht zu Ende. Krystyna Liman trägt ihr „Gepäck“ nach Hause. „Ich wollte einen geschlachteten Karpfen kaufen“, sagt sie verstört, „aber der hier bewegt ja sein Maul noch!“ Den Fisch zu töten, bringt sie nicht übers Herz.

Wie viele andere Polen hat auch Krystyna Liman ein Problem mit der kuriosen polnischen Gewohnheit, lebendige Karpfen zu verkaufen. Und so wartet sie zu Hause bis der Fisch erstickt. Unter dem Motto: „Befreien Sie den Karpfen!“ werben deshalb bereits viele polnischen Ketten mit Karpfen-Filets. Nur am Danziger Fischstand, an dem Krystyna Liman kaufte, waren sie nicht zu bekommen. Stattdessen versprach ein rätselhaftes Schild über der Theke: „Betäubung der Karpfen nur auf Wunsch des Kunden.“

Viele Polen kaufen bis heute lebendige Karpfen. Diese Tradition kennt auch Edmund Kieszkowski aus seiner Kinderzeit. „Bei meinen Eltern schwamm der Karpfen immer in der Badewanne oder in einer Schüssel. Und wir Kinder haben ihn gefüttert“. Doch langsam verschwindet diese Tradition. Das steht im Einklang mit den Normen der Europäischen Union, die verlangen, das Leiden der Karpfen beim Transport zu verringern.

Lebendige Karpfen zu verkaufen, ist eine kommunistische Tradition. Damals wurde die Ware planwirtschaftlich zugewiesen. Die Transporte kamen oft viel zu früh an und die Karpfen wurden im Wasser gelagert, damit sie frisch blieben.

Heute ist Fisch jederzeit zu bekommen und die Wannen im Supermarkt sind überflüssig. Jacek Bożek freut das. Seit drei Jahren organisiert er in Polen Aktionen für einen schonenderen Umgang mit den Karpfen. „Wir fahren quer durch Polen und achten darauf, dass die Karpfen weniger leiden müssen“, berichtet der Ökologe.

Krystyna Liman aus Danzig will ihren Karpfen diesmal kalt in Gelee servieren. Wie für die meisten Polen ist der Fisch auch für sie ein Symbol des Heiligen Abends. Als sie ihn aus der Plastiktüte holt, atmet er noch. Aber nicht mehr lange. Der Kochtopf steht schon bereit.


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