Wahlkampf mit Weihnachtslichtern
Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko drückte auf den Knopf – und seine Landsleute sahen nur noch Violett. Seit dem orthodoxen Nikolaustag am Samstag (19.12.) schmückt ein Weihnachtsbaum der Superlative Kiews Unabhängigkeitsplatz Majdan. 500 kleine Tannen wurden für den 35 Meter hohen Festtagsgiganten zusammensteckt. Ein tonnenschweres Metallskelett hält die Pracht zusammen. Doch vor allem die Farben machen ihn zu einem Unikum: 1200 Leuchtdioden sorgen für violetten Lichterglanz in der Hauptstadt.
Bei klirrender Kälte und Schneefall wunderte sich so mancher Nikolaus mit Wattebart und roter Mütze über das ungewöhnliche Farbenspiel. Doch die Erklärung einer Kiewer Tageszeitung leuchtete ein: In der Ukraine wird am 17. Januar ein neuer Präsident gewählt und die politischen Kontrahenten scheinen peinlich genau darauf zu achten, dass unschuldige Weihnachtssymbole nicht in die Wahlkampfmaschinerie geraten.
Farben spielen in der ukrainischen Politik von jeher eine große Rolle. Seit der Orangenen Revolution im Winter 2004 ist Orange zum Synonym für Präsident Juschtschenko geworden. Hunderttausende demonstrierten vor fünf Jahren in orangefarbenen Schals und Kopftüchern gegen Wahlfälschungen. Inzwischen sind die Accessoires der Revolutionäre allerdings in der Mottenkiste gelandet und es herrscht Katzenjammer. Juschtschenko hat die Zustimmung der Massen verloren. Viele sind enttäuscht über den politischen Stillstand und nicht erfüllte Versprechen. Nur noch drei bis sechs Prozent würden den einstigen Hoffnungsträger wiederwählen.
Auch die Gegenkandidaten besetzen Farben für sich. Die Partei der Regionen von Oppositionsführer Viktor Janukowitsch, der derzeit in Umfragen das Rennen um die Präsidentschaft anführt, hat Blau zu ihrer Erkennungsmarke erkoren. Parlamentssprecher Wolodymyr Lytwyn, der ebenfalls das höchste Amt im Staat anstrebt, plakatiert gelb. Und der junge Arsenij Jatsenjuk (Wahlkampfmotto: „Ich ziehe in den Krieg gegen Korruption.“) überzieht das Land seit Monaten mit olivgrünen Tarnzelten und Plakaten.
Präsidentschaftskandidat Arsenij Jatseniuk wirbt in Tarnfarben: „Ich ziehe in den Krieg gegen Korruption" / Clemens Hoffmann, n-ost
Juschtschenkos einstige Weggefährtin und mittlerweile bittere Rivalin Julia Timoschenko reklamiert die Farbe Weiß für ihren Parteienblock. „Sie arbeitet“ – heißt der umstrittene Slogan, mit dem die kämpferische Premierministerin im kommenden Jahr auf den Präsidentenstuhl wechseln will. Dabei spielt sie virtuos mit ihrem Image: mal Landesmutter, mal oberste Grippe-Managerin der Nation. Timoschenkos letzter Coup: Für ein Plakat mit Neujahrswünschen ließ sie sich mit einem – natürlich schneeweißen – Tigerbaby im Arm ablichten. 2010 gilt nach dem chinesischen Kalender als Jahr des Tigers. Damit liegt Timoschenko im Trend: Auch am Weihnachtsbaum auf dem Majdan baumeln Tiger: 40 Spielzeug-Stofftiere, deren Fell von den Dauer-Schneefällen der vergangenen Tage allerdings bereits hoffnungslos durchnässt ist.
Die politische Farbenlehre im ukrainischen Wahlkampf führt zu allerhand Verrenkungen bei der Kiewer Festbeleuchtung. Weil ein mit ganz normalen Glühbirnen geschmückter Baum leicht als Parteinahme für Timoschenko, die Frau mit dem goldblonden Haarzopf, verstanden werden könnte, sieht man vor vielen öffentlichen Gebäuden auffallend bunte, wild blinkende Tannen. Bloß nicht festlegen, scheint ihre Botschaft.
Der Weihnachtsbaum auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Majdan glänzt in diesem Jahr in Violett / Clemens Hoffmann, n-ost
Einzig die Nationalfarben blau und gelb gelten – zumindest in dieser Kombination – als unverdächtig. Vor allem aber scheint sich Lila im Winter 2009 als Modefarbe zu etablieren: das Gebäude des Geheimdienstes im Kiewer Zentrum ist mit violetten Lichterketten geschmückt. Gelegentlich changieren die Farben leicht ins Orange – womöglich ein dezenter Hinweis darauf, dass laut Verfassung der Präsident den Dienst kontrolliert? Gleich gegenüber hat ein Fischrestaurant eisblaue Girlanden montiert. Liebäugelt der Besitzer mit Janukowitsch? Kein ungefährliches Statement, gilt Kiew doch als Hochburg von Julia Timoschenko. Das könnte Gäste verprellen.
Vor der Schewtschenko-Universität strahlen feuerrot beleuchtete Tannen. Rot ist auch in der Ukraine traditionell die Farbe der Sozialisten. Doch die Bäume der Wissenschaft sind über jeden Zweifel erhaben: Die Universität trug ursprünglich den Beinamen "Heiliger Wladimir", dessen Orden rote Bänder schmückten. Deshalb wurde das Hauptgebäude der Universität rot gestrichen – lange bevor die Kommunisten die Macht übernahmen. Selbst für den violetten Weihnachtsbaum auf dem Majdan lässt sich bei näherem Hinschauen noch eine ganz und gar unpolitische Erklärung finden: Ein bekannter Schokoladenhersteller sponsert die Beleuchtung.