Polen

Umdenken bei der Kohleverstromung

Als einer der größten CO2-Produzenten der EU will Polen nun stärker auf alternative Energiequellen setzen

(n-ost) – Weiße Rauchwolken ziehen über den blauen Himmel. Pausenlos spucken die Schornsteine und Kühlturme des Heizkraftwerks in Belchatow Rauch in die Luft. Die polnische Braunkohleanlage ist die größte dieser Art weltweit. Die insgesamt zwölf Blocks bringen eine Leistung von 4400 Megawatt (MW) – um 600 MW mehr als das größte Braunkohlewerk in Deutschland in Niederaußem. Ein Fünftel der polnischen Stromverbraucher bezieht ihre Energie aus dem Heizkraftwerk in Zentralpolen. Doch das Kraftwerk Belchatow produziert neben Energie auch eine Menge Kohldioxid – die größte Menge in ganz Europa sogar, wie die EU jüngst feststellte. Sie platzierte das polnische Belchatow auf den ersten Platz der Liste der größten CO2-Emittenten. Polen wird dadurch wieder als Umweltschänder angesehen.

„Man sollte die Ergebnisse aus der Liste nicht so wörtlich nehmen“, sagt Professorin Halina Pawlak-Kruczek, Energiespezialistin an der Breslauer Technischen Universität. „Belchatow ist der größte Emittent in der EU, weil es das größte Kraftwerk weltweit ist. Diese Zahlen hängen direkt zusammen“, erklärt sie. Direkt hinter Belchatow stehen auf der Liste mehrere deutsche Kraftwerke, die nicht weniger umweltschädlich sind, sondern nur kleiner sind. Insgesamt tragen sie sogar mehr zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Belchatow sei nicht das größte Problem in Polen, findet Pawlak. Das eigentliche Problem sei, dass es das modernste polnische Kohlekraftwerk ist. Die Technik der restlichen Kraftwerke ist veraltet – und vor allem gibt es zu viele.

Polen gehört zu den am stärksten von Kohle abhängigen Volkswirtschaften in der Europäischen Union. Fast 95 Prozent der Energie werden aus Braun- bzw. Steinkohle gewonnen. Das Land  verfügt kaum über andere Fossilien, alternative Energiequellen spielen heute nur eine geringe Rolle. Kernkraft wurde vor Jahren aufgegeben, erneuerbare Energien machen gerade mal ein Prozent bei der Stromproduktion aus. Und gegen eine Umstrukturierung wehrte sich das Land lange. Deshalb wird das junge EU-Mitglied heute gern als böses Kind im Bereich Energie betrachtet.


Weiße Rauchwolken ziehen über dem Kohlekraftwerk Belchatow in den Himmel. Foto: Agnieszka Hreczuk

Sturheit spielt bei der Energiepolitik Polens eine starke Rolle. Die Politiker wollen das Land  möglichst unabhängig von Energie-Importen halten. Die Erfahrungen der Ukraine, die von Russland bereits mehrmals mit der Drohung erpresst wurde, die Gashähne abzudrehen, verstärkten die Zahl der Kohlebefürworter. Theoretisch könnte sich Polen tatsächlich unabhängig mit Energie versorgen: Das Land fördert mehr als die Hälfte der Kohle der EU. Die Vorräte reichen noch für 300 Jahre. Würde man sie effektiv nutzen, könnte Kohle als einzige Energiequelle dienen, argumentieren Befürworter.

Eine Umstellung würde die polnische Wirtschaft hingegen unverhältnismäßig belasten, so die Argumentation weiter. Die Reduktion der CO2-Emission um 20 Prozent würde Polen über 50 Milliarden Euro kosten. Der größte Teil davon würde allein in den Umbau der Übertragungsnetze und in die Modernisierung der Gebäude-Isolierung. „Energieabhängige Branchen wie die Zement- und Hüttenindustrie würden Pleite gehen“, behauptet Jacek Skorski, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des polnischen Kohleproduzenten Kopalnia Weglowa SA in Katowice. 500.000 Arbeitsplätze wären gefährdet. Das läge vor allem an steigenden Energiepreisen, die, wie Skeptiker vorhersagen, um 90 Prozent in die Höhe gehen würden, wenn auf andere Energiequellen zurückgegriffen wird.

Doch sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung Polens scheinen in letzter Zeit umzudenken. Die Regierung hat Ende November ein neues Programm für die Energiepolitik vorgestellt. Zwei AKWs sind geplant und die Nutzung von Kohle soll bis 2030 deutlich reduziert werden – zugunsten von Atomkraft und erneuerbaren Energien. Sämtliche Kohlekraftwerke, die in Betrieb bleiben, sollen modernisiert werden. Das bringt zwar höhere Kosten mit sich, die polnische Bevölkerung ist jedoch, wie Umfragen zeigen, bereit diese zu akzeptieren. Umfrageergebnisse, die die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza am Samstag veröffentlichte, setzen die Regierung unter Druck: Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sehen die Ursache für die Klimaveränderung im steigenden CO2-Ausstoß, über 60 Prozent verlangen von ihrer Regierung, aktiv etwas dagegen zu unternehmen – koste es, was es wolle.

Die Regierung in Warschau lenkt ein, dämpft aber zugleich die Erwartungen. „Polen wird noch viel Zeit brauchen, um die Strukturen zu ändern. Dieser Prozess erfordert sehr große finanzielle Mittel“, sagt der ehemalige polnische Umweltminister Maciej Nowicki. Allein in der Regierung selbst verursacht das Thema große Unstimmigkeiten. Maciej Nowicki fiel diesen zum Opfer. Er verlor seinen Posten am Dienstag, kurz nach der Eröffnung der Kopenhagener Konferenz. Der Grund war Medienberichten zufolge ein Streit mit Ministerpräsident Donald Tusk. Es sei darum gegangen, was mit dem Geld aus dem Verkauf der Emissionsrechte passieren solle. Der Ministerpräsident wollte es für wirtschaftliche Zwecke ausgeben, der Umweltminister für die Modernisierung der Energiewirtschaft in Polen und den Umweltschutz.


Polens Kohlevorräte könnten Schätzungen zu Folge noch 300 Jahre ausreichen. Foto: Agnieszka Hreczuk

Obwohl, wie Nowicki berichtete, am Ende Donald Tusk mit seiner Vision einverstanden gewesen sei, entschied er sich, die Regierung zu verlassen. Zum Nachteil für die Umwelt, kommentierten polnische Medien. Denn Nowicki sei der erste Umweltminister seit Jahren gewesen, der sich tatsächlich für die Umwelt eingesetzt habe und vernünftige Pläne für die Modernisierung des umweltfeindlichen Energiesystems in Polen vorstellen wollte.

Die Finanzen sind auch der Grund für die polnischen Vorbehalte, wenn es darum geht, Entwicklungsländer bei einer klimafreundlichen Umstrukturierung ihrer Wirtschaft zu unterstützen. „Solidarität ist wichtig und Polen will sich daran beteiligen, aber zu viel Geld können wir dafür nicht ausgeben, weil wir für die Modernisierung unseres eigenen Energiesystems enorme Mittel benötigen“, so Nowicki kurz vor seinem Amtsrücktritt.

„30-30-30 wäre ein perfektes Modell für Polen“, sagt Professorin Halina Pawlak- Kruczek. Eine Diversifikation also, bei der Kohle, Kernkraft und erneuerbare Energiequellen zu gleichen Teilen genutzt werden. Vollkommen auf einheimische Kohle zu verzichten, findet sie wenig sinnvoll. Kohle sei die einzige Energiequelle, die in Polen reichlich vorhanden sei und nicht importiert werden müsse. Also lautet der Appell der Wissenschaftlerin: weiternutzen, aber in Verbindung mit modernen Technologien. Braunkohle vorzutrocknen steigere beispielsweise die Effizienz der Energiegewinnung. Moderne CCS-Systeme, die bei der Verbrennung fossiler Energieträger freigesetztes CO2 abscheiden und unterirdisch einlagern, ermöglichten die Reduktion des CO2-Ausstoßes auf nahezu Null. In Belchatow wird diese Technologie ab 2015 angewendet. Dann will Polen nicht mehr der größte Luftverschmutzer in der EU sein.

Agnieszka Hreczuk
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