Sorge um 700 hungrige Katzen
Nach der Schließung der Stettiner Werft stehen nicht nur die entlassen Arbeiter vor Existenznöten
(n-ost) – Einsam flattert die weiße Fahne mit dem roten Solidarnosc-Schriftzug an den Werkstoren der Stettiner Werft. Nur noch selten hält ein Auto am Parkplatz des einst großen und modernen Schiffbauers – meist nur, um schnell Geld aus dem Automaten am Werft-Eingang abzuheben. Noch bis Jahresmitte passierten täglich tausende Werftarbeiter das Tor zur Stettiner Werft, dem größten Arbeitgeber der 400.000-Einwohner-Metropole. Fünf Monate und rund 5.000 Arbeitslose später bleiben nur die Katzen auf dem Gelände zurück.
Früher waren es die typischen Geräusche der Schwerindustrie, die in Werftnähe zu hören waren: das Auf und Ab eines Lastenkrans, das Zischen der Schweißapparate, Hammerschläge und alle paar Monate der Applaus der Werftarbeiter, wenn neue Schiffe vom Stapel liefen. Heute ist nur hier und da ein Katzen-Miauen zu hören. Bis zu 700 Vierbeiner leben auf dem 70-Hektar großen Werftgelände und stehen, warnen Tierschützer, vor einer „Hunger-Katastrophe“.
„Katzen erhielten keine Entlassungsschreiben“
Die 72-jährige Rentnerin Teresa Piatkiewicz will dagegen etwas tun. Sie ist Initiatorin und Leiterin des in ganz Polen einmaligen Vertrauenstelefons in Tierfragen – und selbstverständlich Katzenliebhaberin. Als sie im Frühjahr 2009 von der bevorstehenden Schließung der Werft hörte, wurde sie hellhörig. „Solange es Arbeiter auf der Werft gab, lebten dort immer Katzen“, sagt sie. Die Schiffbauer und die Betriebskantine hätten die Vierbeiner durchgefüttert, im Gegenzug sorgten die „Werfttiger“ für die Schädlingsbekämpfung in den Hallen.
Harte Zeiten nicht nur für Schiffbauer, sondern auch auch für die Werftkatzen, Foto: Markus Nowak
Mit der Entlassung der Schiffbauer im Sommer diesen Jahres hätten die Vierbeiner ihre Existenzgrundlage verloren: „Sie arbeiteten ihr Katzenleben lang auf der Werft und haben keine Abfindung, nicht einmal ein Entlassungsschreiben bekommen,“ sagt die rüstige Rentnerin – und es ist ihr voller Ernst. „Arbeit und Brot“ lautet die Forderung ehemaliger Schiffbauer auf Plakaten am Werfteingang. Diesen Appell versucht Teresa Piatkiewicz mit einer handvoll weiterer Tieraktivisten in abgeänderter Form umzusetzen: Statt um Brot bittet sie öffentlich um Tierfutterspenden für die Werftkatzen. Mehrere hundert Kilogramm Katzenfutter sind so bereits zusammengekommen.
Der Lebensraum der Katzen, die „Neue Stettiner Werft“ wie sie seit einer Umstrukturierung 2002 bezeichnet wurde, wird derzeit liquidiert. Nachdem vor kurzem ein aussichtsreicher Deal mit Anlegern aus Katar platzte, wird das Firmenvermögen veräußert, und zwar unabhängig davon, ob der künftige Investor noch Schiffe produziert lässt. Die Vermögensverwaltung lässt die Tierretter vorerst gewähren. Das Futter verteilen allerdings Sicherheitsleute, denn nur sie dürfen das Firmengelände betreten.
Mittlerweile wurden Fangkörbe aufgestellt, die Katzenweibchen sollen einer Sterilisation unterzogen werden. Denn dass sich die Katzen weiter vermehren, liegt weder im Interesse des Liquidators noch der Tierfreunde oder der Stadtoberen.
„Solidarnosc“ – Solidarität mit den Katzen
Den Werfteingang nutzten noch vor einem halben Jahr tausende Werftarbeiter, heute bleibt er verschlossen, Foto: Markus Nowak
Als „großes Problem“ sieht Maciek Tyszka vom Kreisveterinäramt den Niedergang der Werft aus der Perspektive der Katzen. Er mahnt, innerhalb weniger Monate könnten sie das Werftgelände verlassen und in das Stettiner Zentrum wandern. „Das wäre sehr unvorteilhaft für die Stadt“, sagt er im typischen Bürokratenpolnisch. Von immer mehr überfahrenen Vierbeinern auf den Straßen bis zu Krankheitsepidemien reichen die Szenarien. Den Amtsveterinären bleibe aber – bis auf die öffentliche Unterstützung der Sammelaktion – kein Handlungsspielraum, erklärt Tyszka.
Öffentlichen Beistand hat die 72-jährige Tieraktivistin Piatkiewicz also erreicht. Regionale Medien veröffentlichen immer wieder Appelle an die Bürger, für die Werfttier-Fütterung zu spenden. In Grundschulen wird Katzenfutter gesammelt und Tierarztpraxen sterilisieren mitgebrachte Katzenweibchen.
Die Katzenfütterung konnte bisher nur heimlich mit dem Handy fotografiert werden, Foto: Markus Nowak
Der 55-jährige Grzegorz Huszcz, einst Werft-Vorstand, hat für die Sorgen und das Engagement der Tierschützer nur ein Lächeln übrig. Er erinnert an ein weit größeres Problem: Ganze Familien, in denen vom Großvater bis zum Enkel alle in der Werft angeheuert hätten, ständen trotz der gezahlten Abfindungen vor schweren Existenznöten. Katzenfreundin Piatkiewicz wiegelt die Kritik der ehemaligen Werftmitarbeiter ab. Die Werftschließung „ist Politik, darauf haben wir keinen Einfluss“, kommentiert sie das Schicksal der fast 5.000 Entlassenen. Den Katzen dagegen könne sie helfen – und das tut sie nach Kräften.
Markus Nowak
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