Lettland

Schlangen vor der Schuldnerberatung

In der lettischen Schuldnerberatung Lakra klingelt pausenlos das Telefon. Aufgeregte Kreditnehmer bitten um ein kostenloses Beratungsgespräch. Santa Pole hat sich dort mit ihrer Rechtsanwältin verabredet. Die Werbedesignerin ist 33 Jahre alt, trägt ihr glattes Haar gescheitelt und liebt extravagante Kleidung in Schwarz-Weiß. Vor zwei Jahren wollte sich Santa Pole den Traum vom Eigenheim erfüllen und kaufte eine baufällige Villa vor den Toren der Hauptstadt Riga. Der Bezirk galt als luxuriöse Wohngegend, deshalb wurde ihre Immobilie auf 300.000 Euro geschätzt. „Die Bank hat uns den Kredit geradezu hinterher geworfen. Sogar unsere Politiker sprachen von einem Wachstum, das niemals enden wird“, erzählt sie. „Also nahmen wir 230.000 Euro Kredit auf.“

Überall in Lettland zeugen heute Neubauten vom damaligen Wirtschaftsboom. Aber Ende 2008 wurde das Land von der weltweiten Finanzkrise aus der Bahn geworfen. Baustellen wurden stillgelegt, Wolkenkratzer enden heute im fünften Stockwerk, kleine Schwarzwaldhäuschen stehen ohne Dachstuhl da. Zahllose Firmen gingen pleite und auch die Straßenbaufirma von Santa Poles Mann musste über Nacht Konkurs anmelden. Plötzlich konnte das Paar die monatlichen Raten von 1050 Euro nicht mehr zahlen. Also baten Santa und ihr Mann die Bank in einem Brief um Aufschub. „Sie antworteten nicht“, erinnert sich die junge Frau. „Stattdessen rief mich einen Monat später ein Mann an und sagte, er habe soeben mein Haus für 50.000 Euro ersteigert. Ich habe nichts davon gewusst und soll jetzt noch 175.000 Euro Kredit zurückzahlen.“






















Die 33-jährige Santa Pole hat ihre Villa durch die Krise verloren, soll aber weiterhin dafür zahlen, Foto: Birgit Johannsmeier

Am Nachbartisch in der Schuldnerberatung lässt sich die 61-jährige Ingrida Valdmane beraten. Um ihre Rente von 750 Euro aufzubessern, hatte sie vor Jahren zwei Nebenjobs angenommen. So konnte sie gleich bei mehreren Banken Kredite zur Wohnungsrenovierung, für neue Kleider und Reisen ihres Sohnes aufnehmen. Aber jetzt sollen die pensionierten Arbeitnehmer Platz für die wachsende Zahl der jungen Arbeitslosen machen. Deshalb verlieren Rentner wie Ingrida, die nebenbei noch arbeiten, 70 Prozent ihrer Bezüge. Sie wisse nicht, was auf sie zukommt, sagt die alte Dame und schiebt ihre Baskenmütze aus dem Gesicht. Deshalb sei sie heute zur Schuldnerberatung gekommen. „Im Moment muss ich 330 Euro Kredit im Monat zurückzahlen“, sagt Ingrida Valdmane. „Noch klappt es, aber was wird, wenn ich meine Arbeit verliere? Ich habe Angst davor, wie es weitergeht.“

So wie Santa Pole und Igrida Valdmane gehe es hunderten Letten, sagt Ainars Gorenko von der Schuldnerberatung. Auf den ersten Blick sieht man dem 30-Jährigen in Jeans und hellblauem Strickpullover nicht an, dass er eine steile Karriere als Bauunternehmer hinter sich hat. Heute betreibt Ainars Gorenko die einzige Schuldnerberatung Lettlands, im zweiten Stock seines eigenen Bürokomplexes. In den beiden lichtdurchfluteten Räumen warten die Leute geduldig, bis sie der Chef persönlich oder ein Mitarbeiter an seinen Schreibtisch bittet. Immer wieder hören die beiden, wie Banken mit legalen oder illegalen Methoden versuchen, Kreditnehmer um ihre Immobilien,  Autos oder Wohnungseinrichtungen zu bringen, erzählt Ainars Gorenko.

Die norwegisch-deutsche Bank DnB Nord, die drittgrößte ausländische Bank in Lettland, ist eine der wenigen, die Auskunft gibt und diese Behauptung bestätigt. Mit den meisten Kunden könnten sie sich auf einen Rückzahlungsaufschub oder eine Umschuldung einigen. In 20 bis 30 Fällen habe das allerdings nicht geholfen. Deshalb habe die Bank Häuser und Wohnungen in einer Auktion erworben und an Tochtergesellschaften überführt. „Die parken die Immobilen und verkaufen sie, wenn die Preise wieder steigen“, sagt Lakra-Chef Ainars Gorenko.

Seit Januar 2009 hat Ainars Gorenko mit seinen freiwilligen Helfern bereits 2000 Kunden betreut. Sogar der lettische Präsident empfehle die Schuldnerberatung, weil der Staat kein Geld für eine Beratung hat. Lakra ist eine gemeinnützige Organisation. Jeder Ratsuchende muss Mitglied werden und einen Beitrag von 1,50 Euro pro Monat zahlen. Anschließend wird er im Bedarfsfall vor Gericht ehrenamtlich vertreten – von Juristen wie Baiba Didrihsone beispielsweise.

Didrihsone ist auch Santa Poles Rechtsbeistand. Sie will mit ihrer Mandantin notfalls vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Denn die Bank habe Santas Haus zwangsversteigert, ohne Santa zu informieren. Auch das Bezirksgericht habe ihre Mandantin nicht über den Prozess informiert und ein Haus, in das sie 230.000 Euro investiert hatte, einfach für 50.000 Euro versteigert. Die Restforderung der Bank lehnt die Rechtsanwältin ab und fordert stattdessen Schadenersatz.

Zusätzlich zu dieser Arbeit sammelt Baiba Didrihsone gemeinsam mit ihren Kollegen von der Schuldnerberatung Unterschriften, um das lettische Parlament zu einer Gesetzesreform zu zwingen. Die Abgeordneten sollen, so die Forderung, eine Krisengesetzgebung verabschieden. Es müsse verhindert werden, dass weiterhin unfaire Zwangsversteigerungen stattfinden, die nur ein Gewinn für die Banken seien, so Baiba Didrihsone. Außerdem verlangt die Juristin, dass die monatlichen Kreditraten ohne Schaden für den Kreditnehmer neu ausgehandelt werden. „Die Kreditraten dürfen nicht 40 Prozent des Gehaltes übersteigen. Die Krise darf nicht nur auf dem Rücken der Schuldner ausgetragen werden.“

Dafür kämpft auch Ainars Gorenko weiter. „Menschen wie Santa und Ingrida sind nicht verantwortlich für die Krise“, wettert er. „Die beiden Frauen können sich weder einen Rechtsanwalt leisten, noch Prozesskosten übernehmen!“ Die einstige Hausbesitzerin Santa Pole glaubt indes kaum, dass sie ihr Eigenheim zurückbekommt. Trotzdem hofft sie darauf, dass ihr die Restschulden erlassen werden. Wenn nicht, fürchtet Santa Pole, werde sie bis an ihr Lebensende für eine Villa zahlen müssen, die ihr längst nicht mehr gehört.


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