Rumänien

1989 - Erinnerung in Rumänien

Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise und das so komplizierte wie spannende politische Tagesgeschehen beschäftigen die rumänische Öffentlichkeit so stark, dass die 20. Jährung des Umsturzes vom Dezember 1989 kaum ins Bewusstsein durchsickert. Seit Oktober gibt es in Rumänien keine voll funktionsfähige Regierung. Der Wahlkampf für die Wahl des neuen Präsidenten tobt  mit maximaler Intensität. Viele hätten dennoch immerhin erwartet, dass zumindest die Kandidaten das Thema 20 Jahre Wende stärker in die Wahlkampfdebatte einbringen – das Gegenteil ist jedoch der Fall.

Der Dezember 1989 wird nur marginal angesprochen, als die drei Hauptkandidaten in einer TV-Debatte kurz die Moralkrise erörterten, an der Rumänien leiden solL. Traian Băsescu, amtierender Staatschef (und Gewinner der ersten Wahlrunde am 22. November), sagte, dass „die Rumänen heute noch nicht wissen, was damals tatsächlich passiert war“. Das Thema ist brisant und hochaktuell: Gab es im Dezember 1989 eine Revolution oder war es ein als Revolte kaschierter Putsch?

Licht in dieses Dunkel versuchen die Medien zu bringen, wenn auch bislang nur sporadisch. So widmet sich die Tageszeitung Adevărul in einer Artikelreihe dem Thema Revolution und trägt in Diskussionen mit prominenten und weniger prominenten Zeit- und Augenzeugen die vielen Puzzleteile zusammen, die das Bild einer Revolution ergeben. Die detailreiche Rekonstruktion der Ereignisse wirft für den aufmerksamen Leser allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet – zum Beispiel über die Rolle, die die Geheimpolizei Securitate spielte.

Den internationalen Kontext thematisiert die im gleichen Verlagshaus erscheinende Zeitschrift Foreign Policy. Wie überraschend die Wende in Rumänien gewesen ist, zeigt auch ein von der Foreign Policy zitiertes Papier der amerikanischen CIA. Die Notiz des US-Geheimdienstes trägt das Datum des 29. November 1989 und war als Vorbereitung des Treffens zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow in Malta (2.-3. Dezember 1989) aufgestellt: „In Rumänien, der letzten Bastion der Ultra-Orthodoxie innerhalb des Warschauer Paktes, hat der letzte Kongress der Partei einstimmig Präsident Ceauşescu wiedergewählt, der jede politische und wirtschaftliche Reform streng ablehnte. Der Boykott dieses Ereignisses durch die Botschafter der westlichen Länder widerspiegelt die steigende internationale Isolation Rumäniens. Trotz kontinuierlicher Verschlechterung der Wirtschaftlage und Ceauşescus sinkender Popularität gibt es keinen glaubwürdigen Gegenkandidaten; so etwas ist wenig wahrscheinlich, solange Ceauşescu nicht die Bühne räumt". Knappe zwei Wochen später gingen die Menschen in Timişoara auf die Straße, die Revolution begann.

Mit dem Ablauf des Umsturzes befasst sich auch der Historiker Alex Mihai Stoenescu, dessen Buch über die „Chronologie der Ereignisse im Dezember 1989“ im Bukarester RAO-Verlag erscheinen soll. In der Tageszeitung Ziarul Financiar veröffentlicht der Autor Leseproben. Nach Auffassung des Historikers „gab es im Dezember 1989 keinen allgemeinen Aufstand der regimesatten Rumänen zur Befreiung vom Kommunismus. Es trat zunächst eine substantielle politische Veränderung in der Sowjetunion ein. … Angesichts des Widerstands von Nicolae Ceauşescu, intervenierte die UdSSR in Rumänien mit unkonventionellen Mitteln.“

Die vielen, in den vergangenen 20 Jahren kursierenden Szenarien, Theorien und Gerüchte über die Geschehnisse im Dezember 1989 verunsichern die Bevölkerung. Die Tageszeitung Jurnalul Naţional veröffentlicht die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CURS, nach der die Meinung der Bürger stark polarisiert ist – tendenziell denken aber immer mehr Befragte, dass im Dezember 1989 eine Revolution stattgefunden hat. Cătălin Augustin Stoica, CURS-Geschäftsführer schreibt in der Jurnalul Naţional, dass sich die Zahl der Menschen, die an einen Putsch glauben, zwischen 1999 und 2009 kaum relevant geändert habe – rund 36 Prozent, mehr als ein Drittel der Befragten, vertreten diese Meinung. Dafür hat die Zahl der Anhänger der Revolutionstheorie um sieben Prozent zugenommen – 47 Prozent sind es heute. Stoica erklärt die zunehmende Neigung zur Revolutionsidee u.a. damit, dass immer mehr junge Menschen, die die damaligen Momente nicht selbst erlebt haben, mit der Geschichte eher abstrakt umgehen.

Das belegt auch eine Reportage der Deutschen Welle vom 30. Oktober. Die Journalistin Grit Friedrich spricht in Bukarest mit einer Studentin, für die der blutige Sturz Ceauşescus nicht viel mehr ist als ein Datum im Geschichtsbuch. „Ich habe mich nicht besonders dafür interessiert und jetzt habe ich andere Probleme“, beichtet die 20-Jährige, die – so der DW-Beitrag - auch mit gleichaltrigen Freunden fast nie über die rumänische Revolution spricht, weil das das Thema von ihrem Alltag und den Sorgen der jungen Leute, die neben ihrem Studium arbeiten müssen, zu weit weg erscheint.

Andere Generationen, die das alte Regime erlebt haben, gehen mit dem Thema Kommunismus  anders um. Eine intensive, wenn auch kurzlebige Debatte über die brutal-perfiden Methoden der Securitate in der Verfolgung von Regimegegnern löst die Verleihung des Literaturnobelpreises an die deutsche Schriftstellerin Herta Müller aus. Die in Rumänien geborene Autorin und Dissidentin musste unter dem steigenden Druck der Geheimpolizei 1987 nach Deutschland aussiedeln und setzte sich in vielen Romanen und Aufsätzen mit der traumatischen Erfahrung auseinander. Die Kulturzeitschrift Observatorul Cultural bringt im Oktober mehrere Artikel zum Thema und schreibt, dass Müllers „Bücher, die so klar und gleichzeitig so nuanciert über die moralische Misere des rumänischen Kommunismus und Postkommunismus handeln“ nicht mehr ignoriert werden können, so wie es bislang der Fall war.

Wie unterschiedlich die Aufarbeitung sein kann, zeigt der Filmemacher Cristian Mungiu, der mit seinem Film „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage“ 2007 die Goldene Palme in Cannes gewann: Er setzt im Herbst mit einem humorvollen Zwei-Teiler unter dem Titel „Erinnerungen aus der Goldenen Epoche“ nach. Die Kurzfilm-Collage, an der neben Mungiu auch andere Regisseure wie Hanno Höfer arbeiteten, setzt sich ironisch mit bekannten Großstadtlegenden und modernen Mythen aus dem Kommunismus auseinander. Mungiu selbst distanziert sich von der Idee, dass es sich bei dem Film um einen Aufarbeitungsversuch handele. Er sei vielmehr „eine Komödie mit tatsächlichen Ereignissen aus den 1980er Jahren, das macht ihn aber nicht zu einem Film über den Kommunismus“, sagt der Regisseur in einem Interview mit der rumänischen Presseagentur Mediafax.

Mit einer nüchternen Analyse der letzten 20 Jahre glänzt der Autor Dan Ungureanu in der Zeitschrift Cultura. Sein Urteil nach der vergleichenden Untersuchung der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche 1989 und 2009 fällt gnadenlos aus:  Plus ça change, plus c’est la même chose – Je mehr sich verändert, desto mehr gleicht sich alles.


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