Polen lockt Fußballtalente
(n-ost) – In jedem Fall kann Sebastian Boenisch seinen kommenden Sommerurlaub schon buchen. Ob sich der Außenbahnspezialist von Werder Bremen nun für Deutschland oder für Polen entscheidet, dem Land in dem er geboren wurde - bei der WM 2010 in Südafrika wird er nicht dabei sein. Denn seine Aussichten auf eine Nominierung durch Bundestrainer Joachim Löw sind ziemlich gering, und Polen hat sich erst gar nicht für die WM qualifiziert.
Wie Lukas Podolski ist der 22-jährige Boenisch im polnischen Gliwice (Gleiwitz) geboren. Und der polnische Fußballverband PZPN, der neue Nationaltrainer Franciszek Smuda, sowie die Medienöffentlichkeit in Polen buhlen offensiv um Boenisch, der erst im Sommer mit der U21-Auswahl des DFB Europameister wurde. Damals spielte er zusammen mit Mesut Özil, Sami Khedira, Andreas Beck, Markus Marin und Jérôme Boateng – alles Spieler mit einem Migrantionshintergrund, die inzwischen den Sprung in den Kader der A-Nationalmannschaft geschafft haben. Boenisch blieb bislang außen vor. „Wir haben auch noch kein Zeichen vom Bundestrainer, dass sich daran demnächst etwas ändert“, sagt Werder-Sprecher Tino Polster, der zugleich andeutet, dass Boenisch mit dieser Situation nicht zufrieden ist.
Vor ein paar Jahren war er schon einmal auf einem Lehrgang der polnischen U16 in Danzig; aber seither hat er die DFB-Jugendmannschaften durchlaufen. Nun soll Boenisch aus dem Lager des DFB in den polnischen Nationalkader wechseln. Eigentlich sollte er schon in den letzten beiden WM-Qualifikationsspielen der Polen, gegen Tschechien und die Slowakei, spielen. Damals fehlten ihm angeblich die nötigen Papiere. Es waren Pflichtspiele, nach denen der Weg zurück zum DFB verschlossen gewesen wäre.
Nach der gescheiterten Qualifikation für Südafrika installierte der Verband ein neues Trainergespann, das Polen auf die EM 2012 im eigenen Land vorbereiten soll. Für das polnische Selbstverständnis ist dies das wichtigste Ereignis seit der politischen Wende vor 20 Jahren. Trainer Franciszek Smuda holte sich Tomasz Waldoch als Co-Trainer. Der ehemalige Schalker Abwehrkchef und 71-fache polnische Nationalspieler sagte nach seinem Amtsantritt: „Unser oberstes Ziel ist es, nun eine Mannschaft für die EM 2012 zusammenzustellen.“ Polen ist als Gastgeber für das Turnier bereits qualifiziert, und seine Aufgabe bestehe vor allem auch darin künftige Spieler zu beobachten. Besonders in Deutschland, wo Waldoch zuletzt den Trainerlehrgang des DFB in Köln besucht hat. Mit dem 61-jährigen Smuda, der selbst Deutsch-Pole ist, und früher unter anderem in Fürth gespielt hat, verbindet Waldoch das Interesse am deutschen Fußball.
Seit Jahren schon hegt der PZPN den Plan, deutsch-polnische Talente in Deutschland für sich zu gewinnen. Entsprechende Avancen in Richtung Piotr Trochowski vom HSV etwa verliefen ergebnislos, auch weil es der Verband bislang nicht schaffte, überzeugende Strukturen in Deutschland zu schaffen. So wie der türkische Verband, der hierzulande einen Stützpunkt unterhält, und bereits Spieler wie die Brüder Altintop oder Nuri Sahin für sich überzeugen konnte. Immerhin wohnt Waldoch noch in Bochum, wo seine eigene Bundesligakarriere begann. Und im Ruhrgebiet gibt es reichlich deutsch-polnische Talente.
Zuletzt war Waldoch Co-Trainer der Schalker U17-Mannschaft. In der spielt sein eigener Sohn Kamil, der inzwischen sein erstes Spiel für Polens U18 absolviert hat. Auch Sebastian Boenisch kam aus der Schalke-Jugend. Ein anderer ehemaliger deutscher Jugendnationalspieler, Sebastian Tyrala, aus der Amateurmannschaft von Borussia Dortmund, ließ sich bereits im vergangenen Jahr zu einem Länderspiel für Polen überreden. Dabei blieb es bislang. Tyrala hat übrigens denselben Berater wie Boenisch. Ein ehemaliger Weggefährte und Freund von Waldoch, der Deutsch-Pole Dariusz Wosz, ist inzwischen U19-Trainer in Bochum. Das alles sind Kontakte, die eine Rolle spielen könnten, beim Aufbau einer polnischen Mannschaft für 2012.
Am liebsten wäre es Smuda wohl gewesen, Boenisch würde schon morgen (Samstag) in Warschau beim Freundschaftspiel gegen Rumänien auflaufen. Deshalb hat er ihn in den vergangenen Tagen in den höchsten Tönen gelobt, wie es in Deutschland nicht üblich ist. Schließlich spielt Boenisch nicht nur in einer starken Liga; er kann sich auch fortwährend im europäischen Wettbewerb messen. Das können die meisten polnischen Nationalspieler nicht, woran der Kader seit Jahren krankt. Boenisch wäre eine erhebliche Verstärkung für Polen. Auch mit seiner Familie gab es schon Gespräche. Vater Piotr wurde von der polnischen Boulevardpresse bereits mit dem Satz zitiert „Sebastian hat mir gesagt, dass er sich für Polen entschieden hat.“ Der Sohn selbst dementiert das bislang nicht, machte aber – wohl auf Anraten seines Vereins – nun deutlich, dass eine Entscheidung noch aussteht.
Bis dahin wolle er sich ganz auf Weder Bremen konzentrieren, auf den Kampf um die Meisterschaft, und die Spiele in der Europa League. „Für andere Dinge habe ich gerade gar keinen Kopf“, sagte er jetzt in einem Interview mit der polnischen Zeitung „Dziennik“, um dann noch festzuhalten, dass „Trainer Smuda sehr nett zu mir war. Er hat sich ganz besonders um mich bemüht.“ Smuda wiederum verkündete bereits, dass „Boenisch zu 99 Prozent für Polen spielt“, und dass „Dieter und Tomek mir in dieser Sache sehr geholfen haben“. Gemeint sind Tomasz Waldoch und Dieter Burdenski, der ehemalige Torhüter von Werder Bremen, der inzwischen eine Agentur für Sportevents betreibt. Demnach haben die beiden mehrfach mit Boenisch gesprochen, bevor es zu dem Treffen mit Smuda kam.
Der künstlich aufgebaute Druck auf Boenisch, sich zu entscheiden, wächst. „Leider ist es ja so, dass junge Menschen oft zur Ungeduld neigen“, heißt es bei Weder, wo man sich längst auf die Seite der deutschen Nationalmannschaft gestellt hat. „Bislang hat uns der Spieler seine Entscheidung noch nicht mitgeteilt.“ Die polnischen Hoffnungen ruhen indes auf dem Weihnachtsfest, das Boenisch im Kreise seiner Familie in Gliwice verbringen will.
Olaf Sundermeyer
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