Kampf den Schneemassen
Mancher Bosnier nimmt es mit Humor. „Wenigstens haben die Autodiebe nichts zu tun“, scherzt einer. Tatsächlich sind die Autos in der Hauptstadt Sarajevo unter Schneebergen begraben - an Wegfahren ist vorerst nicht zu denken. Sarajevo kämpft gegen die größten Schneemassen seit über zehn Jahren. Schweres Gerät schiebt meterhohe Eisberge zusammen, Fußgänger schlängeln sich durch schmale Pfade oder laufen auf der Fahrbahn, auf die sich nur noch selten ein Auto mit Schneeketten verirrt.
Kolonnen von Männern mit Schaufeln stapfen durch den Schnee und räumen frei, was geht. Ein paar Dutzend sind dem Aufruf der Behörden zum freiwilligen Arbeitseinsatz gefolgt. Ob sie dafür bezahlt werden? „Nein, aber hier wohnt unser Chef, da machen wir mal den Schnee weg. Kann nichts schaden, wenn der uns hier mit Schaufeln sieht“, so die originelle Erklärung.
Die Straßenbahn, die auch im Sommer oft mit überalterten Schienen zu kämpfen hat, hat den Betrieb seit Tagen eingestellt. In den Läden werden die Lebensmittel langsam weniger, weil die Lieferungen stocken. Der Preis von Schneeschaufeln ist in die Höhe geschossen. Ansonsten akzeptiert Sarajevo die Naturgewalt als ganz normales Chaos. Der Stadtpark am Hang wird zur Piste für Snowboarder, ein Café nutzt ein paar sonnige Minuten für einen Open-Air-Stehempfang.
Weniger leicht hat es der Rest des Landes. Dörfer und Gehöfte in den Bergen im Osten Bosniens sind unter einer teilweise über zwei Meter hohen Schneedecke begraben. Zigtausende Menschen im ganzen Land sind seit Tagen auf sich alleine gestellt. Die verschiedenen Streitkräfte und Zivilschutzorganisationen des Landes reagieren auf Notrufe aus den Dörfern und bringen mit ihren wenigen Helikoptern Patienten in Krankenhäuser oder werfen Pakete mit Lebensmitteln und Medikamente ab.
Auch die EU-Truppen Eufor kamen den Bitten der lokalen Behörden nach und schickten Hubschrauber. Die serbische Teilregierung hat am Montag 100 Lebensmittelpakte über Dörfern und Höfen abgeworfen. In manchen Landesteilen haben die Behörden den Ausnahmezustand ausgerufen, wobei allerdings unklar ist, welche Konsequenzen das hat.
Auf der Hauptstraße zwischen Sarajevo und Mostar waren am Wochenende über hundert Menschen in ihren Autos und einem Reisebus im Schnee über 30 Stunden lang eingeschlossen, bevor die Straßen geräumt werden konnten. Für die kommenden Tage haben die Wetterdienste bereits weitere Schneefälle prognostiziert.
Im benachbarten Serbien hat die Regierung wegen der Schneemassen für das ganze Land den Ausnahmezustand erklärt. „In 37 Gemeinden herrschen Ausnahmebedingungen. 70.000 Menschen sind von der Welt abgeschnitten“, erklärte der serbische Innenminister Ivica Dacic. Hunderttausende Schulkinder und Beschäftigte haben für die ganze Woche unfreiwilligen Urlaub, weil Schulen und Büros geschlossen oder unerreichbar sind.
Von 120 Menschen in den Dörfern im Südosten Bosniens hat man seit drei Tagen nichts gehört, weder Stromnetze noch Festnetz- oder Mobiltelefone funktionieren. Ihr spezielles Problem: Sie sind Opfer der komplizierten Verwaltung. Sie befinden sich im serbischen Landesteil, aber die Straßen zur nächsten größeren Stadt Mostar gehen durch Gebiete des anderen Landesteils, der Föderation. Darum hat jetzt die eine Regierung die andere um Hilfe gebeten - ein seltener Fall.