Neue Beweise gegen Milan Kundera
Eine neues Dokument erhärtet den Vorwurf des Verrats im stalinistischen Prag
(n-ost) – „Das ist ein Attentat auf einen Autor“, hatte Milan Kundera gekontert, als er vor genau einem Jahr ins Zwielicht geraten war. Der weltberühmte Pariser Schriftsteller mit tschechischen Wurzeln soll 1950 im stalinistischen Prag einen antikommunistischen Spion ans Messer geliefert haben. So beschrieben es ein Mitarbeiter der Instituts für die Aufarbeitung des Totalitarismus und ein Redakteur des renommierten Wochenblattes Respekt im Herbst 2008. Der Aufruhr war groß. Prominente Tschechen und ausländische Schriftstellerkollegen stellten sich mehrheitlich vor Kundera. Doch ein neues Dokument, veröffentlicht von der konservativen Tageszeitung Lidove noviny, erhärtet den schlimmen Verdacht.
Nach der Veröffentlichung der Causa in Respekt hatte es Kritik gehagelt. Die Art und Weise der Enthüllung gehöre sich nicht, hieß es. Es sei beispielsweise nicht ausreichend gewesen, Kundera ein Fax mit Fragen zu dem Vorgang nach Frankreich zu schicken; man hätte ihn schon von Angesicht zu Angesicht befragen müssen. Stasi-Akten könne man keinen Glauben schenken, murrten einige weiter. Dass es sich bei dem in Respekt zitierten Protokoll über die Aussage des Studenten Milan Kundera um ein Polizei-Protokoll handelte, übersahen die Kritiker. Dieses Dokument hätte man auch in den Jahren danach jederzeit manipulieren können, wollten andere Verteidiger Kunderas wissen. An denen mangelt es nicht.
Auch der altersmilde Vaclav Havel stellte sich vor seinen Schriftstellerkollegen: „Auch wenn Milan Kundera tatsächlich bei der Polizei gemeldet haben sollte, dass sich da irgendwo ein Spion versteckt halte – was er meiner Meinung nach nicht getan hat – muss man die damalige Zeit in Betracht ziehen.“ Den Vogel schossen vier Literatur-Nobelpreisträger und sieben weitere weltbekannte Autoren ab, die in einer gemeinsamen Solidaritätserklärung für Kundera kurzerhand von einer Verleumdungskampagne sprachen, obwohl sie nie in einem kommunistischen System gelebt hatten und die Praktiken des Stalinismus nur vom Hörensagen kennen können.
Seither war es ziemlich ruhig um den Fall geworden. Bis am Dienstag die angesehene konservative Tageszeitung Lidove noviny über ein neues Dokument berichtete, das den Verdacht gegen Kundera verstärkt. Das Blatt beruft sich auf das Manuskript einer Vorlesung des damaligen stellvertretenden Ministers für Nationale Sicherheit, Jaroslav Jerman aus dem Jahre 1952. Darin schildert Jerman, wie es immer besser gelinge, „Dank der Zusammenarbeit mit unseren Bürgern unsere Feinde zu entlarven“. Als Beispiel dafür verweist er dabei auf die Festnahme des antikommunistischen Spions Miroslav Dvoracek 1950 und zitiert das Polizeiprotokoll, wonach der Student Kundera den Aufenthaltsort des Spions preisgegeben hatte. Dvoracek wurde verhaftet, zum Tode verurteilt und dann zu 14 Jahren Arbeitslager „begnadigt“.
Für den Historiker Petr Koura steht nach dem Fund des Dokuments fest, dass es „praktisch ausgeschlossen ist, dass die Polizeimitteilung aus dem März 1950 (über die Denunzierung Dvoraceks durch Kundera) im Nachhinein gefälscht worden sein“ könne. Eindeutig bewiesen sei die Schuld Kunderas aber nicht. Es gibt aber auch neue Aussagen. Vor allem die der Ehefrau Dvoraceks. Weder sie noch ihr Mann hätten sich gewundert, dass Kundera angesichts seines glühenden Eifers für den Stalinismus in die Sache verstrickt gewesen sei. Sie hätte nie Zweifel daran gehabt, sagte die Ehefrau erst vor einigen Tagen in einem Interview der Lidove noviny. „Wir können das weder vergessen noch verzeihen.“
Wird Kundera nun sein Schweigen über die damaligen Vorgänge brechen? Ein Kommentator der Lidove noviny bedauerte, dass in dem einen Jahr seit dem ersten Verdacht gegen Kundera keinerlei Diskussion über das Maß der Verstrickung der tschechischen Eliten von einst in den Stalinismus zustande gekommen sei. Günter Grass habe lange gebraucht, um über seine Zeit im Nationalsozialismus zu reden, schrieb das Blatt weiter. Kundera würde sich und der tschechischen Gesellschaft einen Gefallen tun, wenn er endlich auch reden würde.
Hans-Jörg Schmidt
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