Kosovo

Abgeschobene Jugendliche sehnen sich zurück

Wenn Nazife Shabanaj von dieser einen Nacht vor vier Jahren erzählt, fängt ihre Stimme immer noch an zu zittern. Sie wurde von einem stürmischen Klingeln an der Haustür aus dem Schlaf gerissen. Plötzlich war die Wohnung voller Polizisten, die sie immer wieder zur Eile antrieben. Eine halbe Stunde hatten sie, um das Nötigste zusammenzupacken. Noch am Mittag desselben Tages stand sie am Flughafen von Prishtina – in einem Land, das sie bislang nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kannte.

Nazife war elf Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Deutschland abgeschoben wurde. Sie gehört der Volksgruppe der Ashkali an, einer ethnischen Minderheit im Kosovo, die wie die albanische Bevölkerung unter der serbischen Unterdrückung litt. Anfang der 90er Jahre flohen ihre Eltern deshalb aus dem Kosovo nach Deutschland. Asyl erhielten sie dort nicht, dafür aber ein Duldung: 14 Jahre lang, denn für ethnische Minderheiten sollte sich die Situation nach dem Ende des Kosovo-Kriegs 1999 sogar noch zuspitzen. Nationalistische Albaner vertrieben nicht nur die verbliebenen Serben, sondern plünderten und zerstörten auch die Häuser der Roma und Ashkali. Das European Roma Rights Center aus Budapest spricht von diesen Ereignissen als der „größten Katastrophe für Roma seit dem Holocaust im Zweiten Weltkrieg“.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und amnesty international sehen für Roma und Ashkali bis heute keine Rückkehrperspektive. Die Häuser sind immer noch zerstört, dazu kommen die anhaltenden Diskriminierung und die verheerende ökonomische Situation, unter der im Kosovo alle leiden. Während die Arbeitslosigkeit insgesamt bei etwa 40 Prozent liegt, erreicht sie bei den Angehörigen der Roma-Gemeinschaften jedoch fast 100 Prozent. Sozialverbände, Kirchen und viele Kommunen fordern deshalb schon lange ein großzügiges Bleiberecht für Roma aus dem Kosovo. Doch Ende September wurden die ersten Roma aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben. Tausende weitere sollen folgen.

„Besonders für die Kinder und Jugendlichen ist die Abschiebung oft eine traumatische Erfahrung“, berichtet Isen Bobaj, ein Kosovo-Albaner, der selbst als Flüchtling in Deutschland gelebt hat. „Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und fragen sich natürlich: Was soll ich hier?“ Seit 2003 berät Bobaj in seiner Heimatstadt Prizren freiwillige Rückkehrer aus Deutschland. Im Gegensatz zu den Abgeschobenen, die nach ihrer Ankunft im Kosovo oft vor dem Nichts stehen, haben sie wenigstens Anspruch auf eine finanzielle Unterstützung: ein Startgeld für die ersten Anschaffungen, auf Mietzuschüsse, Sprachkurse für die Kinder. Das Geld kommt von Kommunen oder Bundesländern in Deutschland, die Rückkehrprogramme ins Leben gerufen haben, um den geduldeten Flüchtlingen einen Anreiz für die Ausreise zu geben. „Aber wie lange reicht diese Hilfe?“, fragt Bobaj.

Vor allem Roma und Ashkali hätten kaum einen Möglichkeit, ihre Existenz in Kosovo zu sichern, sagte vor kurzem der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, und kritisierte damit das Rücknahmeabkommen zwischen Deutschland und Kosovo. 90 Prozent der aus Deutschland abgeschobenen Roma und Ashkali verlassen deshalb schon bald wieder das Land – nicht selten mithilfe von bezahlten Schleppern, die sie wieder nach Westeuropa bringen.

Auch Nazifes Bruder Egzon hat schon mehrmals über diese Möglichkeit nachgedacht. „Aber die wollen 3.000 Euro haben“, winkt der 17-Jährige ab. Seit vier Jahren wohnen die Shabanajs in Gelanz, einem kleinen Dorf im verarmten Westen des Kosovo. Als Unterkunft dient ihnen eine aus Lehm gebaute Hütte, die ursprünglich einmal ein Kuhstall war. Eine Tante, die noch in Deutschland wohnt, hat Geld für den Kauf einer Kuh geschickt – die versorgt die Familie nun mit Milch und Käse. Im Sommer gibt es Tomaten, Gurken und Paprika aus dem Garten. Dazu kommen monatlich noch einmal 150 Euro, die ein befreundeter Pfarrer aus Deutschland schickt.

Nazife geht zwar in die Schule, aber Kontakte zu den Einheimischen hat sie kaum, erzählt sie. Vor ihr liegen CDs aus Deutschland, die legt sie manchmal ein, und dann denkt sie an ihre Freundinnen und an das Jugendzentrum. Vier Jahre ist das her. „Aber es fühlt sich an wie zwei Wochen“, sagt sie, während sie wieder den Fernseher einschaltet, um ihre deutsche Lieblingsserie zu schauen. Über Satellit kommt ein kleines Stück Heimat in den Kosovo.


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