Slowenien

„Wir bleiben die ewigen Südländer“

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien existiert noch. Zumindest in den Augen des Serben Branko Vukić: Für ihn ist die einstige Teilrepublik Slowenien eine Art Miniatur-Jugoslawien. In seiner Stadt treffe er Menschen aus allen ehemaligen jugoslawischen Republiken. „Sie leben ohne Konflikte, vom Kroaten bis zum Kosovo-Albaner“, sagt er. Und das sei in der Region längst nicht überall selbstverständlich. Im Gegenteil: Die Migranten aus den südlichen Republiken Ex-Jugoslawiens fühlen sich oft unverstanden und diskriminiert.

Der Mittfünziger Branko Vukić folgte seiner Frau vor zwei Jahren nach Ljubljana, nachdem diese eine Anstellung in einer Klinik gefunden hatte – denn Fachkräfte im Gesundheitswesen sind in Slowenien sehr gefragt. Er befinde sich noch „mitten im Integrationsprozess“, wie er selbst sagt, da er Slowenisch erst noch lernen muss. „Auch wenn sie alle Serbisch verstehen, das sie ja früher in der Schule gelernt haben“, sagt er. „Doch manche tun sie sich schwer damit und verstehen es eben nur, wenn sie was von einem wollen.“

Sein serbischer Landsmann, Aleksander Todorović, kam bereits Mitte der 1970er Jahre nach Slowenien. Damals setzte ein großer Einwanderungsschub von Menschen aus den wirtschaftlich schwächeren südlicheren Teilrepubliken Jugoslawiens nach Slowenien ein. Auch Todorovic folgte seiner Frau, die er während des Studiums in Belgrad kennen gelernt hatte, ins ostslowenische Ptuj. Binnenmigration war nichts Ungewöhnliches: „Wenn man damals von Belgrad nach Slowenien zog, war das wie ein Umzug von Graz nach Wien“, sagt der heute 54-jährige Aleksander Todorović.

Als sich Slowenien im Juni 1991 von Jugoslawien abnabelte, sollte alles ganz anders kommen für die Migranten aus den südlichen Teilrepubliken. Ihnen wurde eine sechsmonatige Frist gesetzt, innerhalb derer sie ihren Aufenthaltsstatus regeln mussten. Zu diesem Zeitpunkt lebten 200.000 Menschen aus den anderen Republiken in Slowenien, jeder zehnte Einwohner. Die meisten kamen dem Aufruf der neuen slowenischen Regierung nach und beantragten die Staatsbürgerschaft, 171.000 Menschen. Mehrere Tausend verließen das Land, kehrten aus verschiedenen Gründen in ihre alte Heimat zurück. Und 25.761 Menschen verloren schließlich im Februar 1992 alle Rechte, da sie aus dem Personenregister gestrichen wurden.

Die „Izbrisani“, wörtlich die „Ausgelöschten“, wurden plötzlich Fremde im eigenen Land. Viele konnten auch nicht in ihre Geburtsorte zurückkehren, um die erforderlichen Papiere beizubringen, da dort Krieg herrschte. „Viele unterschätzten die Situation, dass man ihnen wirklich den Status aberkennen würde“, sagt Todorović, der auch „ausgelöscht“ wurde. Wer ausreiste, erhielt oftmals an der Grenze seine Papiere wieder entwertet zurück. „Ungültig“, so die Antwort der Behörden. Und wer blieb, lebte meist auf Kosten der Familie, Freunde und der Caritas – denn Arbeiten war ohne Status nicht möglich.

Inzwischen haben die meisten ihre Statusfrage in Slowenien geregelt. So wie Todorović, der 1996 seine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zurück erhielt, dann jedoch aufgrund eines neuen Gesetzes nicht arbeiten durfte. Denn die Regelung sah vor, dass man mindestens zehn Jahre im Land verbracht haben musste, doch Todorović hatte seine Aufenthaltsgenehmigung erst 1996 wieder erhalten – auf dem Papier war er demnach neu in Slowenien. Er verklagte die Regierung und bekam vor kurzem 17.000 Euro Schadenersatz für den entgangenen Arbeitsplatz, berechnet am Minimallohn im Land.

Mehrere Hundert Fälle sind heute indes noch ungeklärt, und die Menschen halten sich illegal in Slowenien auf, so die Schätzung von Experten. Die Regierung verspricht nun Abhilfe und will den Menschen ihren Status rückwirkend anerkennen, was bedeutsam für die Rente ist. Mit einer finanziellen Entschädigung werden die Betroffenen im Gegensatz zu Todorović, der diese aufgrund der konkreten Arbeitsstelle bekam, die ihm entgangen war, allerdings nicht rechnen können.

Auch die Kroatin Vlasta Ivić, die als Journalistin für slowenische Medien in Ljubljana arbeitet, kennt das Problem der „Ausgelöschten“: Ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann war einer von ihnen. Sein Status ist bis heute nicht geklärt. Vlasta Ivić lebt seit 40 Jahren in Slowenien und erinnert sich daran, dass es früher keine Diskrimination der Menschen aus anderen Teilrepubliken gegeben habe, keine Fragen, wer woher komme. Dann stellte sie jedoch eine zunehmende Intoleranz gegenüber den Menschen aus dem Süden fest. „Einerseits haben wir ab den siebziger Jahren zum wirtschaftlichen Aufblühen Sloweniens beigetragen, andererseits bleiben wir hier die ewigen Südländer“, sagt sie.

Die Migranten aus den übrigen jugoslawischen Nachfolgestaaten Jugoslawiens spielen immer noch eine bedeutende Rolle für die slowenische Wirtschaft. 95 Prozent aller Ausländer, etwa 86.000 Menschen, stammen aus diesen Ländern. Slowenien braucht sie, denn es fehlt dem Land an Fachkräften. Im Baugewerbe arbeiten beispielsweise 49 Prozent aller Ausländer. Aber auch als Mechaniker, Elektro-Facharbeiter, im Gesundheits- und Gaststättengewerbe herrscht großer Bedarf. Dabei sind die Bürger aus Ex-Jugoslawien sehr beliebte Arbeitnehmer. Denn sie sprechen eine sehr ähnliche Sprache, haben einen vergleichbaren kulturellen Hintergrund und sie verfügen über eigene soziale Netzwerke. Diese gründe nennt Veronika Bajs vom Mirovni inštitut („Friedensinstitut“) in Ljubljana, die sich mit Migranten beschäftigt.

Den Menschen aus den übrigen ex-jugoslawischen Republiken hat der Migranten-Sohn Goran Vojnović einen Besteller gewidmet. Vojnović beschreibt sein Leben in einem der sozialen Brennpunkte von Ljubljana, dem Stadtteil Fužine: graue Wohnblöcke, vor denen sich die Kinder der Gastarbeiter treffen, Drogen probieren oder ihre Muskeln spielen lassen. Keine Fiktion, sondern Alltag für viele Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in Slowenien leben. Auch in der zweiten Generation scheint die Integration noch nicht gelungen. Das Buch gewährt so tiefe Einblicke in eine parallele Schattenwelt zur slowenischen Gesellschaft, dass selbst die Polizei Vojnović nach seiner Veröffentlichung vernommen hatte.

Aida Hadžiahmetović gehört zu den Migrantinnen, denen die Integration in Slowenien gelungen ist. Die 42-Jährige ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation Slovenski filantrop („Slowenischer Menschenfreund“), die Flüchtlinge und Asylsuchende vor Ort in den Aufnahmestätten unterstützt. Aida kann sich gut in ihre Schützlinge hineinversetzen, denn sie musste im jüngsten Krieg ihre Heimat Bosnien-Herzegowina verlassen. „Als ich in Slowenien ankam, hatten wir Flüchtlinge kein Recht auf Schule oder Arbeit, waren in ehemaligen Kasernen untergebracht und bekamen Fertig-Nahrung“, erinnert sie sich. Einige Frauen putzten, einige Männer arbeiteten schwarz auf dem Bau, um sich ein Zubrot zu verdienen. „Die Tatsache, dass sie ein Jahrzehnt nicht arbeiten durften, war eine verpasste Chance für die slowenische Volkswirtschaft“, sagt Aida.

Als der Krieg 1995 zu Ende war, gingen viele zurück. Teils gab es sogar Stimuli für Rückkehrer. Nur wer nicht wusste, wohin er sollte, der blieb in Slowenien. Auch Aida blieb, aus Liebe zu ihrem Ehemann, den sie inzwischen kennen gelernt hatte. Als Flüchtling in der Schweiz hatte sie gutes Französisch gelernt, bewarb sich schließlich bei einem französischen Automobilhersteller in Slowenien. „Doch natürlich bekam ich eine Absage“, erinnert sie sich. „Denn wer will schon jemanden mit bosnischem Pass einstellen, der eine Reisetätigkeit übernehmen soll, aber für fast jedes Land dieser Welt ein Visum braucht?“, sagt Aida Hadžiahmetović.

Als muslimische Bosnjakin sei Aida zudem bei Vorstellungsgesprächen sehr oft darauf angesprochen worden, dass sie ja ohnehin viele Kinder haben werde. „Ein Klischee“, sagt sie. „Und einmal glaubte mir ein potenzieller Arbeitgeber nicht, dass mein Jura-Abschluss an der Universität Sarajewo echt sei“, sagt Aida Hadžiahmetović. Er sei der Meinung gewesen, dass muslimische Frauen nur zu Hause sitzen und keine Bildung genießen. Aida schüttelt den Kopf verwundert. „Nun leben die Bosnjaken doch schon so lange in Slowenien, aber immer noch wissen die Slowenen nichts über uns.“


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