Polen

GLÜCKSSPIELAFFÄRE BELASTET REGIERUNG

(n-ost) – Undurchsichtige Vorgänge erschüttern die polnische Regierung: Bei der Vorbereitung einer Gesetzesnovelle zu möglichen Abgabenerhöhungen bei Glücksspielen sollen Regierungs- und Parteimitglieder der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) zu Gunsten von Geschäftsfreunden aus der Glücksspielbranche interveniert haben. Als entsprechende Unterlagen des Antikorruptionsbüros (CBA) an die Presse durchsickerten, verlor zunächst der Fraktionschef der regierenden PO seinen Posten. Das CBA wurde pikanterweise von Michal Kaminski geleitet, der aus der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der Kaczynski-Zwillinge stammt. Auch er verlor nun seinen Posten. Bereits letzte Woche sah sich Premier Donald Tusk gezwungen, drei Minister und weitere wichtige Regierungsbeamte zu entlassen. Die Staatsanwaltschaft Warschau hat bereits Ermittlungen eingeleitet, jedoch gegen keine konkreten Personen.

Losgetreten wurde die Lawine durch an die Presse gelangte Stenogramme mit Telefongesprächen von PO-Fraktionschef Zbigniew Chlebowski über das geplante Glückspielgesetz. Chlebowski hatte einem guten Bekannten, einem einflussreichen Unternehmer aus dem Glücksspielgeschäft, unter anderem gesagt: „Zu 90 Prozent, Rysiu, wir machen die Sache klar.“ Damit meinte er, eine avisierte Gebührenerhöhung für bestimmte Glücksspiele verhindern zu wollen, die die Branche jährlich Hunderte von Millionen Zloty zusätzlich kosten sollte. In den Gesprächen fielen auch die Vornamen von weiteren Regierungsmitgliedern, die an der Sache beteiligt sein sollen – und letzte Woche von Premier Tusk entlassen wurden.

Die wichtigsten drei Ressortchefs, die ihre Posten verloren, sind der Sport-, der Justiz- und der Innenminister. Ihre Rolle in den Vorgängen ist zwar alles andere als klar, die Kündigungswelle schwächt aber die Regierung und das Ansehen der PO. Vor allem Tusks enger Parteifreund und bisheriger Innenminister Grzegorz Schetyna galt bis vor der Affäre als rechte Hand und Kronprinz Tusks für den Premierposten, sollte Tusk 2010 die Präsidentschaft erringen. Nun hat er den Fraktionsvorsitz erhalten. Tusk begründete die Versetzung als Manöver, bei dem seine besten Leute im Sejm, der Ersten Kammer des polnischen Parlaments, den „politischen Krieg“ gegen die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) führen sollen – also auch Schetyna. Der Regierungschef betonte, er glaube an die Unschuld seiner Vertrauten.

Tusks eigentliches Problem könnte aber CBA-Chef Kaminski sein, den der Premier am Dienstag dieser Woche von seinem Amt als Leiter des 2006 von der PiS eingerichteten Antikorruptionsbüros enthob. Kaminski hatte den Premier im August dieses Jahres zunächst über Unregelmäßigkeiten informiert, ohne jedoch die Notwendigkeit einer Strafanzeige zu sehen. Einige Wochen später behauptete er, Tusk hätte die CBA-Informationen weitergegeben – angeblich, um die Parteifreunde der PO zu warnen. Die Opposition von der PiS hat denn auch genau gegen diese angebliche Weitergabe vertraulicher Informationen Anklage erhoben. Tusk wirft seinerseits Kaminski Lügen sowie „rechtlich und moralisch disqualifizierendes“ Verhalten vor. Kaminski wurde auch von der Staatsanwaltschaft angeklagt, sie beschuldigt ihn wegen unrechtmäßigen Vorgehens vor allem bei früheren Amtshandlungen.

Der polnische Präsident Lech Kaczynski, der ebenfalls zur oppositionellen PiS gehört, wandte sich gegen die Entlassung Kaminskis und droht Tusk nun indirekt gar mit einer Anklage vor dem Verfassungsgericht, da seine Meinung zu der Entlassung nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, beachtet worden sei. Auch der Geschasste selbst kündigte rechtliche Schritte gegen die juristisch umstrittene Entlassung an.

Derweil gelangten weitere Untersuchungen der CBA an die Öffentlichkeit. So wurden vergangene Woche weitere CBA-Unterlagen an die Presse geleitet: Diesmal ging es um angebliche Rechtsbrüche bei der Privatisierung der Werften in Gdynia und Szczecin. Das Ministerium des Staatschatzes soll die Ausschreibung gemäß der Anforderungen des Investors aus Katar geschrieben haben, der auch den Zuschlag erhielt. Die Privatisierung ist letztlich gescheitert, der Investor hat den Kaufpreis nicht wie vereinbart bezahlt. Das Antikorruptionsbüro behauptet, der Investor sei in Waffengeschäfte verwickelt, die Opposition fordert den Rücktritt von Schatzminister Aleksander Grad.

Diese Vorgänge haben aber offenbar nicht die gleiche Sprengkraft wie die „Glücksspielaffäre“, die nun von einem Untersuchungsausschuss beleuchtet werden soll. Der einflussreiche Publizist Bogdan Romanowski spricht davon, dass Ex-Fraktionschef Chlebowski mit seinen Verwicklungen begonnen habe, „der Bürgerplattform das Grab zu schaufeln“. Tusk habe nun „den schwierigsten Test in Sachen Propaganda zu bestehen“. Tatsächlich könnte sich in einem nicht unerheblichen Teil des Wahlvolkes auch längerfristig die Ansicht durchsetzen, dass diejenigen, die Affären aufdecken, entlassen werden. Zumal die staatlichen Medien ebenfalls von der Opposition dominiert werden.

Vieles deutet zudem darauf hin, dass es bei der Bürgerplattform nun zu Brüchen kommen könnte. Erste einflussreiche Parteikollegen raten Tusk öffentlich, ganz auf seine Präsidentschaftskandidatur zu verzichten. Tusk habe es versäumt, schreibt das linksliberale Magazin „Polityka“, sich von Parteifreunden zu trennen, die sich nicht von fragwürdigen Geschäftsfreunden lösen konnten. Nun habe er die letzte Möglichkeit, die „politischen Bomben mit verzögerter Zündung loszuwerden, die in der heißen Phase der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen alle Pläne von ihm und seiner PO sprengen könnten“, so das Blatt.

Der Ausgang der Affäre, von der bislang kaum jemand weiß, wie viel Substanz sie eigentlich hat, ist also offen. Die oppositionelle PiS hat Morgenluft gewittert und hofft, das Rennen um die Präsidentschaft im nächsten Jahr spannend machen zu können. Auch die linke SLD glaubt, von der Affäre profitieren zu können – ihr potentieller Präsidentschaftskandidat Wlodzimierz Cimoszewicz, der sich weitgehend aus der polnischen Innenpolitik zurückgezogen hat und als unabhängig gilt, legt in Umfragewerten zu.

Jan Opielka
ENDE

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