Tschechien

Die Revolution als Bühnenstück

Als die Nachrichten von einer „Revolution“ aus Prag ins entlegene Cheb dringen, findet Frantisek Hromada, auch auf seiner Bühne müsse dieses Stück gespielt werden. Und so gibt der Theaterintendant die Schlüssel ab und sein Haus frei für Menschen, „deren Ziele sonst im Dunkeln geblieben wären“. Am 24. November 1989 wird das Theater zur Keimzelle der Samtenen Revolution und des Bürgerforums in Cheb. „Überwältigend war es mitzuerleben, wie junge Leute im grellen Licht der Bühne ihre Angst vor dem Regime verloren“, sagt Hromada im Rückblick auf jene Zeit vor 20 Jahren. Wochenlang geht das so, bis schließlich die entnervten Polizeikräfte mahnen: „Macht doch mal endlich wieder das, was eure Aufgabe ist!“ Dabei, so meint Hromada, hätten die Theaterleute genau dies getan: kritische Begleiter des öffentlichen Geschehens in der Tschechoslowakei zu sein. „Auf unserer Bühne haben wir vorgeführt, dass die Macht schon zerfallen war!“


Die Revolution als Bühnenstück: Die Theaterleute Frantisek Hromada (links) und Dietrich Kelterer wurden in Cheb und Plauen zu treibenden Kräften der friedlichen Revolution. Foto: Beate Franck

Im rund 60 Kilometer entfernten Plauen in Sachsen findet im gleichen Herbst diese Vorführung der Ohnmacht auf der Straße statt. Auf einer simplen Schreibmaschine werden Flugblätter mit je drei Durchschlägen getippt und in Telefonzellen ausgelegt. Sie rufen zu einer Demonstration am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, auf.

„Die Stasi hat das natürlich mitbekommen und die Strafanstalten leergeräumt“, erinnert sich Frank Grünert, Orthopäde und Mitglied des Neuen Forums. Mit 400 Demonstranten rechnet die Staatssicherheit, die sie in den Griff zu bekommen meint. Doch es versammeln sich über 10.000 Menschen – eine Eruption lang angestauten Volkszorns. Montag für Montag treffen sie sich wieder – im ganzen Land tut man es ihnen bald nach. Neben Leipzig wird Plauen so zur Keimzelle des öffentlichen Protestes in der DDR, der zum Fall der Mauer und dem Sturz des SED-Regimes führt. Hromada und Grünert sind Zeitzeugen, deren Erinnerungen an die Ereignisse 1989 nun erstmals grenzüberschreitend ins Licht der Öffentlichkeit rücken.



Das Buch zum Projekt trägt den  Titel „Bürgermut macht Politik – 1989/90 neues Forum Plauen, Bürgerforum Cheb.“ Herausgeber sind Pit Fiedler, Dietrich Kelterer, Bara Cernakova und Zbynek Cerny. Das Buch erscheint im Bodner Verlag Pressath, ISBN 978-3-937117-82-9.


Der deutsche Journalist Pit Fiedler und seine Prager Rundfunk-Kollegin Alena Zemančikova haben in Interviews Akteure des Neuen Forums Plauen und des Bürgerforums Cheb um einen Blick zurück gebeten. Auf sie fiel die Wahl nicht nur wegen der räumlichen Nähe. Fiedler hat sich auf Zeitzeugen-Interviews spezialisiert. In Böhmen und der ehemaligen DDR hat er dafür ein weites Feld gefunden und noch wichtiger: „Das Vertrauen beider Seiten.“ Zemančikova ist mit den Protagonisten eng befreundet, war sie doch selbst vor ihrer Rundfunk-Karriere Dramaturgin am Theater Cheb. Die Reflexion der Zeitzeugen zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf. Auch in Plauen agiert ein Mitglied des Neuen Forums am Theater: Dietrich Kelterer, als unliebsamer Dissident vom Architekten zum Bühnenbildner degradiert. Auch dort avanciert die Revolution zum Bühnenstück, allerdings in anderer Inszenierung. Unter dem Motto „Der Intendant lädt ein“ will hier die SED in Podiumsdiskussionen mit dem Neuen Forum „Druck aus dem Kessel“ nehmen.

„Der Theatersaal und die Gänge waren völlig überfüllt“, schildert Frank Grünert die damalige Situation. „Aus dem Auditorium kam so viel Protest, dass die Funktionäre mächtig Angst bekommen haben.“ Als Abgang bleibt ihnen nur der Rücktritt.„Das große L“ (für Listopad, tschechisch November) heißen jene dramatischen Tage in Tschechien, in Ostdeutschland wird dafür das Wort „Wende“ populär. Heute hat sich im Sprachgebrauch beider Länder das Wort „Umbruch“ eingebürgert. Glücklich sind die Akteure von damals darüber nicht. „Es war eine echte Revolution, ein Vulkan-Ausbruch“, bekräftigt Grünert.

Mit der „Wende“ mag er sich indes auch nicht anfreunden: Das Wort habe Egon Krenz geprägt, letzter Generalsekretär der SED. Böse Zungen behaupten, er wollte mit der Wortschöpfung seine eigene politische Wende belegen. Auf tschechischer Seite gibt man sich wiederum schwejk-mäßig bescheiden. „Revolution wäre übertrieben“, sagt der ehemalige Leiter des Staatsarchivs von Cheb, Jaromir Bohač. „Zu so etwas sind die Tschechen nicht fähig. In Prag sind vier Schaufenster zu Bruch gegangen und das war’s.“ Das Theater, so meinen die Tschechen, sei dennoch für derlei Umtriebe prädestiniert gewesen: „Schließlich hatten wir Erfahrung damit, wie weit man gehen konnte, damit etwas noch erlaubt war.“Ob Revolutionär oder nicht – längst sind die Herren nicht nur grau, sondern weiß geworden. Warum ist gerade in ihren Städten Geschichte geschrieben worden? „Die Plauener“, meint Dietrich Kelterer, „sind ein sehr stolzes zänkisches Bergvolk.“

Cheb, so sagt Hromada, sei schon immer eine Rückzugsoase „anderswo gemaßregelter Personen“ gewesen. Beide Charaktere scheinen wohl eines zu besitzen: Mut.Die Zeit nach der „Wende“ führt die deutschen Akteure in die Kommunalpolitik. Kelterer wird Kulturamtsleiter, Grünert städtischer Beigeordneter für Gesundheit. Das Neue Forum geht 1990 zum Großteil in Bündnis 90/Die Grünen auf. Die selbstbewusste Zivilcourage der Bürgerbewegung, beklagt Kelterer im Rückblick, sei weder in der neuen Partei, noch in den neuen Verwaltungsstrukturen erwünscht gewesen. Grünert, der sich als Gewinner der friedlichen Revolution fühlt, sieht den Wandel der Bürgerbewegung dagegen realistisch: „Die Idealisten machen die Revolution, dann kommen die Materialisten und machen die Politik.“In Tschechien indes wird nach dem „großem L“ aus dem Bürgerforum keine Partei – ein Fehler, wie heute Historiker meinen.

Dennoch halten sich Hromada und Bohač zugute, mithilfe des Bürgerforums alte Seilschaften und falsche Revoluzzer in Schach gehalten zu haben. Ihren Platz aber sehen sie woanders. Bohač geht zurück ins Archiv. Auch Frantisek Hromada nimmt seine Schlüssel wieder an sich und bleibt Theaterintendant. Und Regisseur – denn, so meint er verschmitzt lächelnd: „Ich habe bei der Revolution Regie geführt.“


Weitere Artikel