Kirchen in der Kritik
(n-ost) – Die Kirche als Hort der Opposition, der unbeugsamen Priester, der kompromisslosen Verfechter innerer und äußerer Freiheit – solche Bilder sind es, die bis vor Kurzem die Wahrnehmung der meisten Polen über die Rolle der katholischen Kirche in der Zeit bis 1989 prägten. Doch die Affäre Wielgus Ende 2006 brachte dieses Bild zum Wanken. Kardinal Stanislaw Wielgus, der zum Erzbischof von Warschau ernannt werden sollte, erklärte während der Amtseinführung Anfang 2007 seinen Verzicht auf das gewichtige Amt. Ihm war nachgewiesen worden, zwischen 1973 und 1980 mit dem polnischen Geheimdienst kooperiert zu haben.
Gläubige auf den Stufen der Rumänisch-Orthodoxen Kathedrale in der rumänischen Stadt Timisoara. Auch heute treibt die Menschen die Desillusion und die Armut in die Kirche – wie schon in der kommunistischen Zeit. Foto: Annett MüllerDas Ereignis erschütterte Polen zutiefst und entfachte eine Diskussion über die Rolle der Kirche im Kommunismus. Doch zahlreiche Fragen blieben unbeantwortet. Denn bereits zwei Jahre später erklärte das Episkopat den soeben begonnenen Aufarbeitungsprozess für beendet. „Weil wir uns auf die seelsorgerische Mission konzentrieren wollen, hat die Konferenz des Episkopats Polens nicht vor, künftig Stellung zu Materialien dieser Art zu beziehen“, schrieben die polnischen Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe.Auch die rumänisch-orthodoxe Kirche hat sich von einer öffentlichen Aufarbeitung der Geheimdienst-Akten verabschiedet. Vor rund zwei Jahren erklärte sie, „nie den Fakt geleugnet zu haben, dass mancher Geistlicher dem infernalen Druck des früheren rumänischen Geheimdienstes Securitate nicht standgehalten hat“. Vielmehr solle die Aufarbeitung nicht-öffentlich erfolgen: von einer Historikerkommission, die „kirchenintern und kompetent“ sei, statt von der staatlichen Aufarbeitungsbehörde der Securitate-Akten (CNSAS).Im Oktober 2008 räumte das rumänische Parlament der Kirche im Aktenaufarbeitungsgesetz eine Vorzugsrolle ein. Seither darf die CNSAS-Behörde einfachen Gläubigen sowie Forschern nur Einblick in die Geheimdienstakten gewähren, wenn es die rumänisch-orthodoxe Kirche erlaubt. „Für uns Forscher eine völlig absurde Situation“, sagt Ovidiu Bozgan, Theologe an der Universität Bukarest, „und für einen demokratischen Staat ein Armutszeugnis.“Deshalb stellt sich die Öffentlichkeit auch heute noch viele Fragen: Kann jede Unterschrift unter ein Geheimdienst-Dokument gleich bewertet werden? Sollen die Namen der inoffiziellen Mitarbeiter – auch von Geistlichen – bekannt gegeben werden? Aus Sicht der Kirche interessiert vor allem die Frage, ob Priester und Bischöfe in dieser Frage genauso behandelt werden sollen wie der Durchschnittsbürger. Juristisch gesehen nicht, denn zum Beispiel das polnische Gesetz sieht eine verpflichtende Erklärung zur früheren Geheimdienst-Kontakten nur vor, wenn Personen eine höhere öffentliche Position bekleiden wollen. Die Kirchen waren und sind aber autonome Körperschaften.„Wir haben nichts zu verbergen“, sagt Nicolae Corneanu, mit 86 Jahren der dienstälteste Metropolit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche mit Sitz in Timisoara (Kreis Banat). 40 Jahre lang lieferte Corneanu Informationen über Gläubige, im Gegenzug bewilligte die Securitate seinen Aufstieg in höhere Kirchenfunktionen. 1990 war Corneanu der erste kirchliche Würdenträger der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, der seine Informantentätigkeit für den rumänischen Geheimdienst öffentlich eingestanden hat. Bis heute sind lediglich vier weitere hohe Geistliche seinem Beispiel gefolgt. „Es waren viele, die vom Geheimdienst aufgesucht worden sind, doch ich verurteile niemanden, der kein Geständnis abgelegt hat“, sagt der Metropolit.
Der Metropolit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche im Banat, Nicolae Corneanu: „Die Kirche hat jetzt dringlichere Probleme als die Aufarbeitung, doch die Zeit dafür wird kommen.“ Foto: Annett MüllerCorneanus Fall zeigt die typische Argumentationstaktik, mit der sich die gesamte Rumänisch-Orthodoxe Kirche heute für ihre opportunistische Rolle im Kommunismus rechtfertigen will: Corneanu hatte Geld für seine Berichte erhalten, „das ich sofort an Arme verteilt habe“, sagt er heute. Indes notierten die Geheimdienst-Mitarbeiter über den Würdenträger, „seine Informationen sind wertvoll“, bei den Treffen „bringt er sich selbst mit Vorschlägen ein“ und „und erklärt, dass er nicht an die kirchlichen Dogmen glaubt“. Ein Priester soll nach den Berichten Corneanus aus dem Amt entfernt worden sein. Geschadet habe er niemanden, sagt der Metropolit 20 Jahre nach der Wende über seine Spitzeltätigkeit, „die ich sehr bedauere, doch ich habe dadurch das Kirchenleben in meiner Kirchenprovinz absichern können.“Diese Anpassungsstrategie ist Tradition bei den Ostkirchen, die eine Unterordnung der Geistlichkeit unter die weltliche Herrschaft propagieren. Die rumänisch-orthodoxe Kirche arrangierte sich nach dem Prinzip, „lieber eine Allianz mit den Kommunisten, statt sie als Feind zu haben“, sagt der Theologe Bozgan. Das Prinzip gipfelte in einer Unterwürfigkeit der orthodoxen Kirche, der auch die anderen Konfessionen in Rumänien keinesfalls nachstanden. Diverse Appelle, ob für die umstrittene Kollektivierung der Landwirtschaft, ob für Jahrestage der Kommunistischen Partei oder Gebete und Huldigungstelegramme, „die dem Führer des Landes“ galten, sind Beispiele für die Opportunität ebenso wie der fehlende Protest beim Abriss von Kirchen, die dem Ceausescu-Palast in Bukarest weichen mussten.„Die rumänisch-orthodoxe Kirche als Institution hat anders als die Katholische Kirche in Polen nicht einen Augenblick lang daran gedacht, eine Oppositionsrolle einzunehmen. Das war leider so“, sagt Bozgan. Zwar arrangierte sich auch die Katholische Kirche in Polen mit der Staatsmacht, wie die Publizistin und frühere Oppositionelle Teresa Bogucka feststellt: Seien es der Bau von Kirchen, Pilgerreisen, Auslandsaufenthalte für sich weiterbildende Priester, der Betrieb von Kindergärten und Schulen – alles musste vom Regime genehmigt werden. So war für Priester ebenso wie für Bischöfe „der Geheimdienst einfach ein Segment der Staatsmacht, die die Kirche bedrohte, mit der man aber reden musste.“Dennoch wird in Polen die Rolle der Kirche vor 1989 vor allem positiv anerkannt: So wäre die polnische Opposition insgesamt bei weitem nicht so stark geworden und die Solidarnosc-Bewegung ab 1980 gar nicht erst entstanden, hätte sie nicht den Rückhalt in kirchlichen Institutionen und bei Persönlichkeiten der Kirche gehabt – etwa in Kardinal Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II., sowie dem langjährigen Primas Polens, Kardinal Stefan Wyszyñski. Einige Priester mussten für Ihre Unterstützung der Opposition gar mit dem Leben bezahlen, der bekannteste von Ihnen war Jerzy Popieluszko, der 1984 von Geheimdienstleuten ermordet wurde.Trotz aller Geheimdienst-Kontakte, Verrenkungen und Kompromisse: Die katholische Kirche bot den meisten Polen in der Zeit der Unterdrückung nicht nur einen religiösen, sondern auch einen moralischen Kompass: Der polnische Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur, Czeslaw Milosz, attestierte ihr 1992, sie habe „in Polen sowohl während des Krieges als auch im Laufe der darauffolgenden fünfundvierzig Jahre atheistischer Herrschaft (...) eine ungewöhnlich große moralische Autorität erworben.“Umso schwerer wog offenbar im März 2009 die Absage des Episkopats, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. Der Jesuiten-Pater Tadeusz Isakowicz-Zaleski, der als Oppositioneller vor 1989 mehrmals brutal zusammengeschlagen worden war, kommentierte: „Das ist so, als ob Ärzte aufstehen und sagen würden: Ab heute ist Schluss mit der Krankheit AIDS.“ Isakowicz-Zaleski hat Berühmtheit erlangt, weil er 2007 ein Buch über die Zusammenarbeit von Geistlichen mit den sozialistischen Geheimdiensten veröffentlichte.Isakowicz-Zaleskis Buch verdeutlicht, dass nicht jede Unterschrift unter ein Geheimdienst-Schriftstück gleich zu werten ist. Viele wussten nachweisbar nichts davon, dass sie als inoffizielle Mitarbeiter des Geheimdienstes aufgenommen wurden; Aussagen wurden gefälscht, Unterlagen manipuliert. Und Opportunismus war nicht gleich Opportunismus: So sind Fälle vorgekommen, in denen Priester Geheimdienst-Kontakten zustimmten, weil sie wegen kleinerer Vergehen, wie etwa dem Schmuggeln von Essen aus dem Westen, erpresst wurden – aber eben auch Fälle, bei denen Geistliche aus finanziellen und Karrieregründen kooperierten.Solche Lebenswege nicht allzu kritisch zu bewerten, dazu sind Gläubige in Polen und Rumänien offenbar gleichermaßen bereit. So gibt es in Polen viele Stimmen, die meinen, Geschichte dürfe nicht auf der Grundlage von Geheimdienstakten geschrieben werden. Die rumänisch-orthodoxe Kirche bat gleich 1990 bei einem öffentlichen Schuldbekenntnis ihre Gläubigen um Verzeihung, für die „zu vielen Kompromisse“ mit den Machthabern und den „zu wenig entschlossenen Widerstand“ gegen das Regime. Heute erfreut sich die rumänisch-orthodoxe Kirche eines großen Zustroms. Damals wie heute, sagt Theologie-Experte Bozgan, seien es „die Desillusion und die Armut“, die die Menschen in die Kirche trieben, wo sie „Milderung und Hoffnung erwarten“.
Hintergrund:Das für die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte zuständige Institut für Nationales Gedenken (IPN) geht davon aus, dass zehn bis 15 Prozent aller polnischen Geistlichen im Kontakt mit dem polnischen Geheimdienst standen. Über die „Qualität“ der Zusammenarbeit sagt diese Zahl wenig aus. In Rumänien gibt es bislang keine Schätzung, wie viele Würdenträger mit der Securitate kollaboriert haben könnten. Die CNSAS-Behörde hat nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren erst 80 Fälle überprüft.
Annett Müller und Jan und Katarzyna Opielka
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