Rumänien

Kirche in der Krise

Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Rumäniens befindet sich ein hoher Prälat in Untersuchungshaft

(n-ost) – Der Hof der kleinen Kirche „Heiliger Ioan Hozevitul“ in Bukarest ist jedes Wochenende voller Menschen. Die orthodoxen Gläubigen gehen dorthin, um für Gesundheit und Wohlstand zu beten, oft aber auch für konkrete Wünsche, wie beispielsweise einen Job. Das Gotteshaus ist für viele der einzige Zufluchtsort in Zeiten großer Unsicherheit in der Wirtschaftskrise. Doch nun ist auch die Kirche zu einem Krisen geschüttelten Ort geworden. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Rumäniens wurde ein hoher Prälat offiziell von einer rumänischen Instanz unter Anklage gesetzt.


85 Prozent der Bevölkerung in Rumänien ist orthodox. Foto: Alex SpineanuTeodosie, Erzbischof von Tomis, einer Region im Südosten Rumäniens, ist von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Annahme von Schmiergeld und Fälschung vernommen worden. Teodosie soll im März dieses Jahres 850 Euro angenommen haben, um einen jungen Mann an der Fakultät für Theologie einzuschreiben, obwohl das Schuljahr bereits seit sechs Monaten lief. Gefordert hatte er insgesamt 3.000 Euro. Allerdings war der angehende Student ein Reporter, der den Fall mit versteckter Kamera gefilmt hatte.Neben Teodosie wurden weitere zwei Pfarrer vernommen, die der Mitschuld angeklagt sind. Der Erzbischof kann maximal zu zwölf Jahren Haft verurteilt werden. „Jedermann kennt Korruptionsfälle in der orthodoxen Kirche, nur ist dieser Fall doch ganz speziell“, sagt Adrian Petrescu, ein 25-jähriger Student. „Deswegen hoffe ich, dass der Staat die Untersuchungen beendet und dass die Kirche sich zu ihrer Schuld bekennt.“ Nur so sei eine innerliche Reform der Kirche möglich. Adrian gehe regelmäßig in die Kirche, erklärt er, doch das halte ihn nicht davon ab, kritisch gegenüber den Prälaten zu sein.Rumänien ist in der Europäischen Union inzwischen fast zum Synonym für Korruption geworden. Da bildet die Kirche keine Ausnahme. Doch während die Massenmedien fast täglich über Korruption im politischen Bereich, über illegale Immobiliengeschäfte, über Bestechungsgelder für Beamte und Bestechung in der medizinischen Pflege berichten, taucht die Kirche dort seltener auf. „Wenn über Korruptionsfälle in der Kirche berichtet wurde, hat die Staatsanwaltschaft nie weiter die Fälle untersucht“, sagt der Journalist Tiberiu Lovin. „Ich denke, der Fall des Erzbischofs von Tomis ist eine Premiere bei der Bekämpfung der Korruption in der Institution der Kirche und ich hoffe, die Untersuchungen werden auch zu Ende geführt.“Laut Gesetz deckt der rumänische Staat die Hälfte der Gehälter der Kirchenangestellten – rund 42 Millionen Euro werden jährlich vom Staatsbudget für die 22.000 Angestellten ausgegeben. Doch hat die Kirche auch ein eigenes Einkommen: Spenden, der Verkauf von Kerzen und weiteren religiösen Objekten, Mieteinnahmen und Einkommen aus weiteren Wirtschaftsaktivitäten. Die Orthodoxe Kirche besitzt mehr als 40.000 Hektar Land und mindestens genauso viel Wald, aber auch Aktien bei Firmen in mehreren Wirtschaftszweigen wie Tourismus, Energie, Bauwesen, Landwirtschaft und Presse. Der Wirtschaftszeitung „Business Standard“ zufolge hat die Orthodoxe Kirche in Rumänien ein Vermögen von über drei Milliarden Euro. Das ist also fast ein Siebtel des Unterstützungspakets der EU und der IMF, das Rumänien aus der aktuellen Wirtschaftskrise herausziehen soll.
Die orthodoxe Kirche in Rumänien besitzt mehr über 40.000 Hektar Land. Foto: Alex Spineanu

Presseberichten zufolge sind allerdings viele dieser Einkommen nicht versteuert, da die Kirche sie nicht erklärt. „Die Spenden werden nicht erklärt, genauso die Summen, die die Pfarrer einnehmen, die Taufen, Trauungen oder Begräbnisse durchführen. In solchen Situationen zahlen die Gläubigen große Summen – verschieden von Gemeinde zu Gemeinde – von denen sie nicht wissen, in welche Tasche sie gesteckt werden.“, sagt der Analyst einer Zeitung, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Das ist ein vetternwirtschaftliches System: Die jungen Pfarrer müssen ihren Vorgesetzten große Summen zahlen, um eine Stelle in den Gemeinden zu erhalten. Darüber muss man offen reden und illegale Taten sollten vor Gericht gebracht werden. Es gibt keinen anderen Weg.“

Noch haben die Rumänen unter den Europäern das höchste Vertrauen in ihre Kirche, und die Tendenz stieg in den vergangenen Jahren konstant. 18,8 Millionen Rumänen – 85 Prozent der Gesamtbevölkerung – sind Angehörige der Orthodoxen Kirche. Laut einer Analyse der „Gruppe für das Studieren der sozialen Werte“ haben rund 85 Prozent der Rumänen viel oder sehr viel Vertrauen in die Kirche. In dieser Vertrauensliste folgen die Armee (rund 76 Prozent) und die Presse. Die politischen Parteien stehen ganz weit unten.„Ich könnte ohne die Kirche nicht leben, ohne den Hoffnungsstrahl, den uns die Kirche gibt. Da finden wir unsere einzige Stütze in diesen bewegten Zeiten“, sagt Maria, die um die 60 ist. Wie fast die Hälfte der Rumänen geht sie regelmäßig in die Kirche – um für die Gesundheit ihrer Tochter zu beten. Während in Rumänien 48 Prozent der Menschen angeben, mindestens ein Mal pro Monat in die Kirche zu gehen, ist es im europäischen Durchschnitt nur ein Viertel. Trotz des großen Vertrauens in die Orthodoxie sind nicht alle Rumänen der Institution und den kirchlichen Würdenträgern gegenüber positiv eingestellt. „Tu, was der Pfarrer sagt, nicht, was der Pfarrer tut!“, ist eins der bekanntesten Sprichwörter im Land.Ruxandra Stanescu und Matei Cristian
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