Rumänien

Rüttgers-Kritik lässt Nokia-Mitarbeiter kalt

Die Arbeiter im rumänischen Nokia-Werk sind über die abfälligen Äußerungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nicht beleidigt – sie wissen, dass die Realität anders ist

(n-ost) – Morgens kurz vor sieben Uhr sind die Straßen des kleinen siebenbürgischen Dorfes Jucu voller Menschen. Die Angestellten des Nokia-Werkes, das vor knapp zwei Jahren in dem 4.200-Einwohner-Ort eröffnet wurde, steigen aus ihren Werksbussen. Die rund 1.500 Arbeiter im Werk des finnischen Handy-Herstellers kommen aus mehreren Dörfern bei Klausenburg/Cluj, Dej und Gherla. Einige legen 120 Kilometer zurück, um bei Nokia zu arbeiten. Erst zwölf Stunden später, wenn die nächste Schicht zur Arbeit kommt, wird in Jucu wieder so viel Bewegung sein.


Das Nokia-Werk im siebenbürgischen Jucu. Foto Cora Sevianu

Noch vor zwei Jahren kannte kaum ein Rumäne das Dorf Jucu. Heute ist es sogar in Deutschland berühmt. Denn das Nokia hatte, bevor es den Betrieb in Siebenbürgen eröffnete, sein Werk in Bochum geschlossen. Die Eröffnung im „Nokia-Dorf“ Jucu wurde von einem großen Medienrummel begleitet. Vergangene Woche war Jucu wieder in den Schlagzeilen, zunächst in den deutschen, dann auch in den rumänischen. Denn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hatte sich im Wahlkampf abfällig über die Arbeitsmoral der Rumänen bei Nokia geäußert.„Im Unterschied zu den Arbeitnehmern hier im Ruhrgebiet kommen die in Rumänien eben nicht morgens um sieben zur ersten Schicht und bleiben bis zum Schluss da. Sondern sie kommen und gehen, wann sie wollen, und wissen nicht, was sie tun“, sagte Rüttgers. Die Empörung in Deutschland war groß, in Rumänien hingegen sahen sich lediglich Management und Gewerkschaftsführung gezwungen, der Kritik zu widersprechen. Die Arbeiter ließ die Äußerung Rüttgers kalt.Cristian Copil, Leiter der Freien Gewerkschaft (Sindicatul Liber), erklärt die fehlende Reaktion der Arbeiter so: „Die einfachen Arbeiter schauen sich solche Nachrichten gar nicht an. Als sie – durch den rumänischen Medienrummel – davon hörten, haben sie diese Information eher mit Unverständnis als mit Empörung und Beleidigung aufgenommen. Für sie war das so falsch im Vergleich zur Realität, dass sie Rüttgers Äußerung ignoriert haben.” Für den Gewerkschafter Clopil jedoch hat Jürgen Rüttgers mit seiner Äußerung die ganze Nation beleidigt, nicht nur die Nokia-Angestellten.Auf dem Tetrarom-Gelände bei Jucu hat der Handy-Hersteller die größte Fabrik erworben: Zwei graue Würfel sind von der frisch asphaltierten Straße aus zu sehen. Im Vergleich zu den umliegenden Fabriken gibt es einen großen Unterschied: Während die Arbeiter der anderen Werke in kleineren und größeren Gruppen durch die Tore gehen oder mit ihren Autos fahren, ist bei Nokia alles viel strenger. Die Arbeiter, die in einer Schicht arbeiten, werden von Firmenbussen gebracht. Und zwar alle zur gleichen Uhrzeit.Die Arbeit im Nokia-Werk ist recht hart: Man arbeitet in 12-Stunden-Schichten, was zunächst zu Kontroversen zwischen dem Managment und den Gewerkschaften geführt hatte. Doch letztlich mussten die Angestellten diese Bedingungen akzeptieren. „Die meisten Leute da sind froh, einen Job zu haben”, sagt der Gewerkschaftler Copil. Disziplin wird groß geschrieben im Werk, die Kontrollen am Eingang sind sehr streng. Denn die Teile, die dort hergestellt werden, sind recht klein und teuer. Seit Eröffnung der Fabrik hat es nur fünf Versuche gegeben, etwas aus dem Werk zu stehlen, erzählt Copil.Die Mitarbeiter des Nokia-Werks bekommen in der Fabrik-eigenen Kantine in den zwei Pausen Sandwiches. „Die Leute sagen, dass im Nokia-Werk die besten Arbeitsbedingungen in ganz Rumänien herrschen. Deswegen sind sie bereit, viele Stunden zu arbeiten und auch zu pendeln”, sagt Clopil. „Und sie wissen: Wenn sie die Dispziplin nicht einhalten, sind viele Arbeitslose in der Gegend, die auf die Chance warten, in diesem Werk eine Stelle zu finden.”Nicht alle jedoch sind von den Arbeitsbedingungen begeistert. Alin, ein 35-jähriger Mann, hat nach der Anstellung bei Nokia sein Glück im benachbarten Hermannstadt gesucht: „Als qualifizierter Arbeiter zwölf Stunden für keine 300 Euro zu arbeiten, ist nichts für mich. Ich habe als unqualifizierter Arbeiter in Hermannstadt für acht Stunden pro Tag 400 Euro Gehalt bekommen” erzählt er. Außerdem seien die Kontrollen beim Ausgang für ihn erniedrigend, „als ob wir alle nur ans Klauen denken würden”. Alin ist gegangen, weil er unzufrieden war. Viele bleiben aber – trotz Unzufriedenheit – weil sie keine Wahl haben. Denn auf dem Lande ist es schwierig, einen Job zu finden, insbesondere für Frauen.„Etwa 70 Prozent der Arbeiter in Nokia-Werk sind Frauen, das Durchschnittsalter liegt bei 35 bis 40 Jahren”, erklärt der Gewerkschafter. „Die meisten Arbeiter wurden vor zwei Jahren angestellt, nach harten Tests – Fähigkeiten, Geschicklichkeit, Arbeitserfahrung. Danach wurden sie im Werk  qualifiziert.” Gearbeitet wird in Dreier- oder Achtergruppen. Clopil: „Wenn die Leute nicht dispzliniert arbeiten würden, müsste die Arbeit jede Minute eingestellt werden. Das ist Laufbandproduktion, wir haben strenge Normen. Wenn einer seine Arbeit nicht macht, bleibt die ganze Gruppe zurück.”Wenn die Normen für die Gruppen oder die Schichten eingehalten und manchmal auch übertroffen werden, können die Gewerkschaften für eine Geldprämie kämpfen. „Im vergangen Monat haben wir es geschafft, soche Prämien zu erhalten, trotzt Wirtschaftskrise”, berichtet Clopil. „Außerdem haben wir diesen Monat eine Gehaltserhöhung verhandelt. Kein einziger Angestellter wurde entlassen, obwohl die Zahl der Bestellungen gesunken ist – eine Rarität für diese schwere Zeiten.” Der Gewerkschafter ist stolz auf „sein” Werk und findet die Qualität der Arbeit sehr gut. Er hofft, dass es immer besser wird: „Nach der Krise wird hoffentlich das Nokia-Werk erweitert. Neun Handy-Modelle werden zur Zeit hier hergestellt, vielleicht werden es mehr.”Dann hoffen auch die meisten Nokia-Mitarbeiter auf eine Gehaltserhöhung. Noch immer werden die Arbeiter in Rumänien im Vergleich zu anderen EU-Ländern schlecht bezahlt. „Sicher haben die Arbeiter in Deutschland viel mehr verdient”, vermutet Alin, der nun nicht mehr bei Nokia arbeitet. „Schon in Deutschland hatten die Inhaber einen Gewinn. Da kann man sich vorstellen, um wieviel mehr sie jetzt verdienen”, schimpft er. „Da haben die reichen Nokia-Chefs es einfach, viel zu verdienen, wenn sie uns verarschen.”Alin versteht auch nicht, dass manche zwölf Stunden arbeiten und dann noch zwei Stunden unterwegs sind: „Die haben gar kein Leben mehr, wenn sie 14 Stunden pro Tag nur beim Job verbringen. Und das für lausige 250 Euro.” Die Menschen, die abends nach der Schicht in den Nokia-Werksbus steigen, scheinen zwar müde, aber zufrieden zu sein. Eine der Arbeiterinnen, Mirela, erklärt: „Ich weiss, dass ich besser als die Grundschullehrerin meiner Kinder verdiene. Es ist wenig im Vergleich zum Gehalt meiner Cousine in Spanien, aber ich bin wenigstens zu Hause. Ich tue mein Bestes, diesen Job zu behalten.” Was da Politiker über ihren Job denken, ist ihr egal.Wenn auch eher zurückhaltend, so hat doch immerhin der rumänische Präsident Traian Basescu auf die Äußerung von Jürgen Rüttgers reagiert: „Ich weiss, dass Politiker aus einem westlichen Land, das mit uns befreundet ist, über die Qualität der Arbeit unserer Landsleute sprechen. Als Staatschef möchte ich auf diese unkorrekte Äußerung antworten, dass sie den Erfolg der Automobilwerke in Rumänien mal bewerten sollten.” Auch diese politische Äußerung hat die Nokia-Arbeiter kalt gelassen: „Die deutschen Politiker sind eben genauso wie die rumänischen: Wenn sie gewählt werden wollen, sagen sie, was das Volk hören will, auch wenn es lauter Lügen sind”, sagt Maria, eine 45-jährige Arbeiterin.
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