Ungarn

Bühne für einen Extremisten

ostpol: Herr Marta, Ihr Theater wird seit Mittwoch von György Dörner geführt, der der rechtsextremen Partei Jobbik nahesteht. Wird sein ‚rechtes‘ Theater akzeptiert werden? Immerhin stellen nationalkonservative und rechtsextreme Parteien mehr als 80 Prozent der Parlamentarier.

Istvan Marta: Ich bin davon überzeugt, dass es kein rechtes oder linkes Theater gibt, nur gutes oder schlechtes. Und genau hier liegt das Problem: Mein Nachfolger verbreitet ausschließlich ideologische Klischees. Man könnte deshalb sagen, dass er demagogisches Theater machen wird.

Wird dieses demagogische Theater seine Zuschauer finden?

Marta: Das kann ich noch nicht sagen, aber unter Dörner wird das Theater sicherlich extremistischer.

Hat Dörner vielleicht Recht damit, dass Ungarns Theater zu liberal sind und zu wenige ungarische Stücke zeigen?

Marta: Das ist eine dumme Behauptung. Wir haben in 13 Jahren 89 Stücke gezeigt, von denen 49 ungarisch waren. In Ungarn wurden in den vergangenen zwei Jahren 600 ungarische Stücke gespielt. Einige der Zeitgenössischen haben Preise gewonnen und sind im ganzen Land beliebt. Aber für konservative Interpretationen klassischer Stücke Karten zu verkaufen, ist ausgesprochen schwierig – veraltete Sprache, veraltete Themen.

Es heißt, die Fidesz-Wähler sind enttäuscht von Viktor Orbans Politik und wenden sich der rechtsextremen Partei Jobbik zu. Ist das ein Grund für die Entscheidung?

Marta: Es gibt viele Vermutungen. Meine rechts wählenden Freunde sind jedenfalls ebenso entrüstet über die Entscheidung wie eine Reihe von konservativen Intellektuellen.

Wie haben Sie gegen Ihre Absetzung protestiert?

Marta: Wir ‚protestierten‘, indem wir hoch konzentriert weitergearbeitet haben. Wir haben noch drei Premieren auf die Bühne gebracht, darunter „Don Carlos“ von Friedrich Schiller. Das Ziel aller Proteste ist es weiterhin, die eigenmächtige Entscheidung des Bürgermeisters rückgängig zu machen, mit der er sich über das Votum der unabhängigen Fachkommission für mich hinweggesetzt hat.

Die Produktion von „Don Carlos“ ist also auch eine Form des Protests?

Marta: Wenn die Bearbeitung eines unsterblichen und wichtigen Dramas im heutigen Ungarn als Protest angesehen wird, dann ja.

Schiller thematisierte am Beispiel des Infanten von Spanien, Don Carlos, den Kampf für persönliche und politische Freiheit. Das passt doch zur Situation des Neuen Theaters und sogar ganz Ungarns.

Marta: Das Drama zeigt auf jeden Fall, welche grundlegenden Überzeugungen und Träume wir haben, und vor allem wie wir sie verwirklichen können.

Kann man in der wichtigen Figur des Marquis von Posa den Liberalismus sehen, den ihr Nachfolger Dörner als „entartet und krankhaft“ kritisiert, oder sogar Sie?

Marta: Posa ist ein sehr freier Mensch und ein unabhängiger Denker, der seinen Überzeugungen folgt. Aber um seine hochgesteckten und 'heiligen' Ziele zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht, sogar ein Komplott. Deshalb scheitert er. Schillers Posa ist eine vielschichtige, komplexe Persönlichkeit, weshalb jede Analogie eine Vereinfachung wäre. Gleichzeitig denke ich, dass viele Leute sich in jedem Teil des Stücks wiederfinden können.

Don Carlos ist auch kein Erfolg beschert, zerrissen zwischen der Liebe zu seinem Vater, dem Symbol der absoluten Macht, und der Liebe zur Freiheit.

Marta: Er ist das wahre Opfer. Ein junger Mann von 23 Jahren, über dessen Kopf zwei gigantische Kräfte zusammenprallen: Der endlose Despotismus und der unstillbare Durst nach Freiheit. Seine glühende Liebe muss einen Kompromiss eingehen.

Über Ihrem Kopf sind auch größere Kräfte am Werk. Ihr Protest durch subversive Arbeit hat nichts genützt.

Marta: Tja, aber ich hätte niemals gedacht, dass die Empfehlung unabhängiger Theatermacher von der Politik übergangen wird.


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