Grenzübergreifender Streit um den Borkenkäfer
Die ungestörte Ausbreitung des Waldschädlings im Nationalpark Böhmerwald ärgert die Nachbarn in Österreich
(n-ost) – Er ist nur sechs Millimeter groß, aber bei tschechischen Politikern und Umweltschützern löst er leidenschaftliche Debatten aus: der Borkenkäfer. Sie streiten vor allem um die Ausbreitung des Käfers im Nationalpark Šumava / Böhmerwald, der im Südwesten an den Nationalpark Bayerischer Wald anschließt. Nachdem der Orkan Kyrill vor zwei Jahren zahlreiche Bäume zerstört hatte, beschlossen das Umweltministerium und die Leitung des Nationalparks, etwa 20 Prozent seines Geländes zu Nichtinterventionszonen zu erklären. Dort werden die umgestürzten Bäume liegen gelassen, die Natur soll sich ohne menschliches Eingreifen entwickeln. So konnte sich der von Waldbesitzern gefürchtete Borkenkäfer ungehindert ausbreiten Die Gegner der Nichtinterventionsgebiete laufen Sturm und warnen vor einer Borkenkäferkatastrophe im Böhmerwald.Die meisten Arten von Borkenkäfern leben auf geschwächten oder abgestorbenen Bäumen. Einige können aber auch gesunde Bäume befallen. Unter günstigen Bedingungen können sie sich massenhaft vermehren und ganze Waldbestände befallen und zerstören. Die traditionelle Methode, die Ausbreitung des Käfers zu verhindern, ist das Abtransportieren des befallenen Holzes.In den Gebieten aber, in denen der Wald seiner natürlichen Entwicklung überlassen ist, kann der Borkenkäfer tun und lassen, was er will. Das Umweltministerium, das Nichtinterventionszonen befürwortet, argumentiert, die Käfer brächten geschwächte Bäume zum Absterben, die natürliche Erneuerung des Waldes werde gefördert und der nachwachsende Jungwald sei sehr viel widerstandsfähiger gegen zukünftigen Befall. Zudem seien die Bäume besser gegen Orkane geschützt, wenn das Holz gestürzter Bäume nicht abtransportiert werde. Ganz anders sehen das die Landkreise Südböhmen und Pilsen, auf deren Gebiet der Böhmerwald liegt, und die dortigen Bürgermeister. Sie befürchten negative Auswirkungen auf den Tourismus und die Holzwirtschaft. Bei umfassendem Borkenkäferbefall, fürchten sie, würden die Holzpreise enorm fallen.Der jüngste Streit zwischen beiden Lagern entzündete sich, als der Vorsitzende des Landkreises Südböhmen Jiří Zimola den Bericht einer Expertenkommission präsentierte, die im Auftrag der Landkreise Südböhmen und Pilsen den Borkenkäferbefall begutachtet hatte. Die Kommission spricht von einer Katastrophe im Böhmerwald und warnt vor dem Übergreifen des Käfers auf die Nachbargebiete der „Urwaldzonen“. Zimola droht damit, den Katastrophenzustand im Böhmerwald zu verhängen, sollte das Umweltministerium nicht gegen die Verbreitung der Borkenkäfer einschreiten. So könnte er auch gegen den Widerstand des Umweltministeriums gegen den Käfer vorgehen. Es gehe nicht an, dass das Umweltministerium der Vernichtung des Waldes tatenlos zusehe, heißt es aus Südböhmen.Umweltminister Ladislav Miko konterte: „Natürlich wissen wir, dass es im Böhmerwald Borkenkäfer gibt. Aber es entwickelt sich alles wie erwartet, der Borkenkäfer ist unter Kontrolle.“ Außerdem seien nur 20 Prozent des Böhmerwalds zum Nichtinterventionsgebiet erklärt worden. In den restlichen Gebieten des Nationalparks werde der Borkenkäfer konsequent bekämpft. Das Prinzip der Nichtintervention in bestimmten Gebieten des Nationalparks verteidigt auch der Direktor des Nationalparks Bayerischer Wald, Karl Sinner. Im Bayerischen Wald sind mittlerweile 51 Prozent der Fläche Nichtinterventionsgebiete, bis zum Jahr 2027 sollen es 75 Prozent werden.Da der Borkenkäfer sich nicht um Landesgrenzen schert, kennt auch der Streit über ihn keine Grenzen. Immer wieder kritisieren Oberösterreicher den mangelnden Einsatz der Tschechen gegen die Ausweitung der Borkenkäfer, die von Böhmen auf Österreich übergreifen würden und in den dortigen Wirtschaftswäldern bereits große Schäden angerichtet hätten. Die Österreicher fordern eine Pufferzone an der Grenze. Tschechien wiederum wirft der österreichischen Seite vor, einen breiten Baumstreifen an der Grenze abgeholzt zu haben. Dadurch seien tschechische Bäume verstärkt dem Wind ausgesetzt, der sie beschädige. Ein Nachbarschaftsvertrag soll nun die strittigen Fragen klären.Mit der bayerischen Seite gibt es solche Auseinandersetzungen nicht. Im Unterschied zur tschechisch-österreichischen Grenze, wo der Nationalpark mit seinen Borkenkäfern auf österreichischen Wirtschaftswald trifft, gehen an der tschechischen-bayerischen Grenze Nationalparks ineinander über, die beide das Konzept der teilweisen Nichtintervention verfolgen.Aber auch Karl Sinner, der Direktor des Nationalparks Bayerischer Wald erinnert sich an lange Diskussionen, die die Einrichtung der Nichtinterventionsgebiete in Bayern begleiteten. Letztlich habe man aber Recht behalten, was die Erneuerungskräfte des Waldes betrifft: „Zu den Flächen, die mir bei meinem Amtsbeginn 1998 von vielen Menschen aus der Region gezeigt wurden, um mir zu beweisen, dass der Wald verloren sei, führt mich heute niemand mehr hin, weil dort Wald existiert.“Nun haben die Verfechter einer harten Linie gegen den Käfer in Tschechien prominente Unterstützung bekommen. Präsident Václav Klaus hat als Erster eine Petition mit dem Titel „Für einen gesunden Böhmerwald“ unterzeichnet. Klaus bestreitet bekanntermaßen den Klimawandel. Die Klimaerwärmung sei nicht bewiesen und werde von Politikern und Umweltschützern zur Einschränkung der menschlichen Freiheit missbraucht, so der Tenor seines neuen Buches. Nun hat sich Klaus auch dem Kampf gegen den Borkenkäfer angeschlossen. „Der Borkenkäfer ist damit der erste Käfer, der es bis in die hohe Politik geschafft hat“, so ein Kommentator in der linken Tageszeitung „Pravo“.
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