Albanien

Streit um Grundstücke am Meer

Tiefrot versinkt die Sonne im Ionischen Meer vor Südalbanien. Am Kiesstrand des kleinen Küstenortes Borsh herrscht Urlaubsidylle pur. Das Plätschern des glasklaren Wassers mischt sich mit dem sanften Blätterrauschen der nahegelegenen Oliven- und Zitrushaine. Doch schon ein paar Meter weiter den Strand entlang ist es mit der Ruhe vorbei. Eine Delegation von möglichen Tourismus-Investoren aus Deutschland ist gerade eingetroffen. Die Honoratioren der Gemeinde Lukova, zu der Borsh gehört, fahren mit ihren schon etwas in die Jahre gekommenen Mercedes-Limousinen direkt auf dem Strand vor. Ein paar Esel beschnuppern die Gefährte, Spaziergänger flanieren interessiert auf und ab. In der kleinen Strandkneipe kommt Vladimir Kumi, der Bürgermeister von Lukova, ins Schwärmen: 300 Sonnentage pro Jahr könne seine Gemeinde bieten, die Gastfreundschaft der Einwohner entlang der atemberaubenden Küste sei unvergleichlich – beste Voraussetzungen also für den Tourismus. Doch Kumi, der mit seiner grauen Lockenmähne unweigerlich an Rudi Völler erinnert, weiß, dass zurzeit alles noch einen Haken hat – die ungeklärten Eigentumsverhältnisse von Grund und Boden. „Grundstücke gibt es bei uns deshalb nicht zu kaufen“, gibt Kumi unumwunden zu. Denn solange ein Parzelle nicht im Grundbuch eingetragen ist, ist der Verkauf verboten. Potentielle Investoren, so der Bürgermeister, würden deshalb lediglich auf einen informellen Markt treffen.

Die Schuld dafür gibt Kumi der Regierung in Tirana: „Sie verzögern die entsprechende Registrierung, um möglichst viel Boden an der Südküste in staatlichen Händen zu behalten, und verraten damit die Interessen der einfachen Leute.“ Während der mehr als 40 Jahre dauernden stalinistischen Diktatur in Albanien gehörte der gesamte Boden ausnahmslos dem Staat – seit der Wende 1990 melden oft mehrere Personen und in vielen Fällen auch der Staat Anspruch auf ein und dasselbe Grundstück an, Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.

Auch um die Traumbucht von Kakome im Süden der Gemeinde Lukova gab es heftigen Streit. Der französische Club Med wollte hier durch das albanische Bauunternehmen Riviera für zirka 75 Millionen Euro ein Luxus-Resort mit 700 Betten errichten lassen und damit erstmals überhaupt westliche Badetouristen im großen Stil nach Albanien locken. Doch der größte Ferienclub-Betreiber Europas machte seine Rechnung ohne Vladimir Kumi und die Bewohner von Lukova. Sie wehrten sich mit Protesten und Straßenblockaden über vier Jahre lang dagegen, dass ihre Besitzansprüche in der Kakome-Bucht nicht beachtet wurden. Kumis Vorwürfe wiegen schwer: Die Leute von Riviera hätten Regierungsbeamte bestochen, damit der Boden in der Bucht als Staatsland ausgewiesen werde und so die rechtmäßigen Besitzer nicht entschädigen werden müssten. „Auch mir boten sie eine Million Euro an“, erinnert sich der furchtlose Bürgermeister. Er lehnte ab – stattdessen landete er wie einige weitere Gemeindevertreter für ein paar Tage im Gefängnis. Doch die Proteste und die damit verbundenen Polizeieinsätze und Festnahmen gingen weiter, bis Club Med die Sache wohl zu heiß wurde. Im Juni zog sich der Ferienclub-Betreiber laut Medienberichten vom Projekt zurück und beendete den Vertrag mit Riviera. Zu den Korruptionsvorwürfen wollte sich Club Med nicht äußern, mehrere Anfragen blieben unbeantwortet.


Vorne Bunker, hinten Kreuzfahrt: Bunker aus der kommunistischen Zeit am Ionischen Meer / Norbert Rütsche, n-ost

Der Streit um die Kakome-Bucht zeigt, dass das gut drei Millionen Einwohner zählende Albanien für ausländische Investoren im Tourismus-Bereich nach wie vor ein unsicheres Gelände ist. Zu viele Fragen rund um den Besitz von Grund und Boden sind auch 19 Jahre nach dem Sturz des sozialistischen Systems noch immer ungeklärt. Helmut Eisner, Seniorchef einer Anwaltskanzlei im baden-württembergischen Lauda Königshofen und regelmäßig geschäftlich in Albanien unterwegs, rät derzeit generell vom Grundstückskauf in Albanien ab: „Wir mussten erfahren, dass hier Eigentum nicht gleich Eigentum ist.“ Vor allem warnt Eisner vor Deals mit „einer Vielzahl von halbseidenen Maklern, während offizielle Ansprechpartner fehlen“. Der Anwalt hat selbst schon verschiedene „informelle Angebote“ bekommen. „Jemand wollte mir eine ganze Halbinsel mit einer riesigen Osmanischen Festung andrehen – inklusive vermeintlicher Kasino-Lizenz – für mehrere Millionen Euro“, erinnert sich Eisner schmunzelnd.

Doch selbst wenn Club Med der Einstieg in Albanien geglückt wäre, sehen Experten kaum Chancen, dass das Balkanland in absehbarer Zeit zu einem neuen Mallorca für Westeuropäer wird. „Erstens stimmt dafür der Standard nicht, und zweitens wächst das Marktsegment Badetourismus ganz allgemein nicht mehr weiter. Da gibt es für Albanien kaum noch etwas zu holen“, meint der Berliner Touristik-Fachmann und Albanien-Kenner Gerd Hesselmann, während sich der Bus entlang verträumter kleiner Buchten nach Süden schlängelt. Viel eher ist es das Unentdeckte und Andersartige, das Albanien für Individualtouristen oder kleine Reisegruppen zu einem Geheimtipp macht. Nebst einer weitgehend unberührten Natur gehörten „die bis heute wahrnehmbaren Spuren der über 40-jährigen Isolation Albaniens und seiner besonderen Form des Kommunismus' zum Spannendsten“, sagt Jörg Kahlmeier, Projektleiter beim Studienreisen-Anbieter Weit-Blicke aus Leipzig. Vor dem Busfenster tauchen die sichtbarsten Überbleibsel dieser so fern erscheinenden Zeit an jeder Ecke auf: die kleinen Einmann-Bunker aus Beton, die wie Champignons aus dem Boden ragen und bis heute von der Sicherheitsparanoia des stalinistischen Diktators Enver Hoxha zeugen. Hoxha ist längst tot, die Bunker werden nicht mehr unterhalten. Dafür ist Albanien seit April Mitglied der Nato.


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