Eine goldene Brücke für Saakaschwili
Der EU-Bericht über die Ursachen des Georgienkrieges vor einem Jahr lässt weiter auf sich warten. Eigentlich sollte er noch vor dem Jahrestag des Kriegsausbruchs am 7. August veröffentlicht werden. Doch es seien neue Dokumente aufgetaucht, die noch berücksichtigt werden müssten, sagte die Kommissionsvorsitzende, die Schweizer Diplomatin und Kaukasus-Expertin Heidi Tagliavini.
Das kam den Regierungen in Moskau und Tiflis offenbar gerade recht, denn den Jahrestag des Krieges nutzten sie, um in einem regelrechten PR-Krieg ihre Sicht der Dinge vor allem im Westen glaubhaft zu machen. Beide Seiten kämpfen um die öffentliche Meinung in Europa und die Stimmung in einer EU-Experten-Kommission. Der Bericht ist vor allem für Georgien von großer Bedeutung, denn Präsident Micheil Saakaschwili verfolgt sein Ziel, sein Land in die Nato zu führen, verbissen weiter. Wenn der EU-Bericht ohne Einschränkungen feststellt, dass Saakaschili den Krieg angefangen hat, wären die Chancen für einen baldigen Nato-Beitritt unter Präsident Saakschwili verbaut.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete im Juni unter Verweis auf ihm vorliegende interne Papiere der Tagliavini-Kommission, die Experten der Kommission seien mehrheitlich zu dem Schluss gekommen, dass Saakaschwili den Krieg mit dem Angriff auf Südossetien am 7. August begonnen habe. Doch das Büro der Kommissionsvorsitzenden ließ inzwischen mitteilen, die Aussagen des Berichts seien spekulativ und nicht belegt.
Auch die Kreml-kritische russische Zeitung „Kommersant“ hat inzwischen unter Berufung auf anonyme Quellen über die Stimmung in der Experten-Kommission berichtet. Danach trägt Saakaschwili die Verantwortung für den Einmarsch georgischer Truppen in Südossetien. Der georgische Präsident sei allerdings durch das Verhalten Russlands zu seinem Handeln veranlasst worden. Außerdem sei die Antwort Russlands „nicht verhältnismäßig“ gewesen.
Wenn der Kommissionsbericht im September tatsächlich derart ausgewogen ausfällt, stehen die Chancen gut, das Saakaschwili im Amt bleibt und weiter als Präsident um den Nato-Beitritt seines Landes werben kann. Es würde nicht wundern, wenn die EU-Kommission Saakaschwili noch einmal eine goldene Brücke baut. Denn der Westen neigt zu Nachsicht gegenüber dem ehemaligen Rosenrevolutionär. Anstatt die schon 2004 kaum verhüllten Kriegsdrohungen des georgischen Präsidenten gegen Abchasien und Südossetien ernst zu nehmen, berauschte sich Europa an den Demokratie-Bekenntnissen von Saakaschwili und der Aussicht, dass da nun jemand sei, der westliche Energie-Interessen im Kaukasus schützt.
Der Westen machte den gleichen Fehler wie schon 1991 beim ersten postsowjetischen Präsidenten Georgiens, Swiad Gamsachurdia. Dieser hatte 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, an dem Autonomie-Status der georgischen Provinzen gerüttelt und so mit dazu beigetragen, dass es 1991 in Abchasien und Südossetien zu blutigen Bürgerkriegen mit Tausenden von Toten und Zehntausenden von Flüchtlingen kam. Die nationalistischen Eskapaden von Gamsachurdia und Saakaschwili wollte der Westen nicht wahrhaben. Stattdessen hat er bei blutigen Konflikten in Georgien die Schuld immer reflexartig bei Moskau gesucht.
Auch ein Jahr nach dem russisch-georgischen Krieg ist wirklicher Frieden in der Region noch nicht in Sicht. Vor dem Jahrestag des Kriegsausbruchs am 7. August kam es an der Grenze zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland wieder zu Schießereien. Tiflis und Moskau beschuldigten sich gegenseitig, zu provozieren und Spannungen zu schüren. Das russische Verteidigungsministerium warnte, bei weiteren „Provokationen“ werde man zum Schutz der Bevölkerung und der Soldaten in Südossetien „alle Mittel“ zur Gegenwehr einsetzen.
Dass es in der Region zu einem neuen Krieg kommt, ist angesichts des verbesserten Gesprächsklimas zwischen Moskau und Washington jedoch unwahrscheinlich. Die USA, die Saakaschwili immer noch unterstützen, brauchen Russland bei der Lösung der Probleme mit dem Iran und Afghanistan. Der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Aleksandr Vershbow beteuerte in einem Interview mit dem Moskauer „Kommersant“, Georgien bekomme nur noch „dosierte Hilfe“, u.a. bei der Ausbildung der georgischen Armee, seit August 2008 aber keine Waffen mehr. Moskau beschuldigt inzwischen nicht mehr die USA wegen Waffenlieferungen, sondern die Ukraine. Von dort würden weiter Panzer nach Georgien geliefert.
Die georgische Opposition hat inzwischen ihre seit vier Monaten andauernden Protestaktionen unterbrochen. Ende Juli, kurz vor dem Besuch des US-Vizepräsidenten Joe Biden, wurden die Straßenblockaden in Tiflis geräumt. Einige Führer der Opposition setzen jetzt auf den Dialog mit Saakaschwili und hoffen auf Erfolge bei kommenden Wahlen. Andere Oppositionsführer, wie die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili, kündigten die Wiederaufnahme der Massen-Proteste für den Herbst an und warnten, dass sich die unzufriedene Bevölkerung zu spontanen Protesten gegen den autoritären Präsidenten erheben werde, wenn Saakaschwili nicht endlich zurücktritt.