Die Internationalen sind ratlos
Für die Führung der EU-Friedenstruppe EUFOR in Bosnien und Herzegowina gibt es keine Zweifel: "Die EUFOR zieht Ende des Jahres ab, alle Vorbereitungen laufen", sagte einer hoher Offizier hinter vorgehaltener Hand. EU-Experten schließen einen neuerlichen Ausbruch von Krieg oder kriegsähnlichen Unruhen aus. EUFOR-Kommandeur Generalmajor Stefano Castagnotto will zwar öffentlich noch nicht von Abzug sprechen, doch es sei "keine militärische Frage mehr, wann die EUFOR das Land verlässt, sondern nur noch eine politische", erklärte er.
Die heute 2000 Soldaten starke Friedenstruppe, die bei Kriegsende 1995 – damals noch unter Nato-Kommando – mit fast 60.000 Soldaten in Bosnien und Herzegowina eingerückt war, hat ihren Job erledigt. Auch die internationalen politischen Akteure im Land denken darüber nach, die Segel zu streichen. Doch nicht deshalb, weil die gesetzten Ziele erreicht wurden, sondern weil offenbar niemand mehr weiß, wie es im ethnisch tief zerstrittenen Balkan-Staat weitergehen soll. "In der internationalen Gemeinschaft herrscht die totale Ratlosigkeit", kommentierte ein hochrangiger Diplomat eines EU-Landes in Sarajewo unlängst die Lage.
Grund für das Kopfzerbrechen ist das Büro des Hohen Repräsentanten (OHR) – eine Art internationaler Oberaufseher, der die zivile Umsetzung des Dayton-Friedensabkommens von 1995 überwacht. 1997 wurden ihm mit den "Bonn Powers" weit reichende Vollmachten zugesprochen, mit denen er Gesetze erlassen und aufheben oder Amtsträger absetzen kann. So wurde der Hohe Repräsentant faktisch zur höchsten Instanz in einem schwachen und zerbrechlichen Staat, der durch das Dayton-Abkommen in zwei weitgehend autonome Entitäten geteilt worden war: die sogenannte bosniakisch-kroatische Föderation und die serbisch dominierte Republika Srpska.
14 Jahre nach Dayton ist in Bosnien und Herzegowina zwar der Frieden gesichert, doch es gibt kaum politische Fortschritte: Bis heute existiert keine Verfassung – die entsprechenden Punkte sind lediglich in einem Annex des Friedensvertrages von 1995 geregelt. Die beiden Teilstaaten und auch die drei konstituierenden Völker der bosnischen Muslime (Bosniaken), Serben und Kroaten blockieren sich ständig auf allen Ebenen. So gibt es beispielsweise in der Stadt Mostar auch neun Monate nach den letzten Kommunalwahlen noch immer keinen neuen Bürgermeister. "Die Logik hier ist immer 'du gewinnst, ich verliere' und niemals 'du gewinnst, ich gewinne'", beschreibt ein europäischer Funktionär die Lage.
Viele ausländische Akteure sehen das OHR mittlerweile als ein Haupthindernis für die verkorkste Situation. Solange es einen Hohen Repräsentanten mit Bonn Powers gebe, dem der Schwarze Peter zugeschoben werden könne, seien die lokalen Politiker gar nicht daran interessiert, selbst Kompromisse und Lösungen zu finden, so der Tenor bei Sarajewos Diplomaten. Deshalb deutet alles darauf hin, dass bereits im November das Ende des OHR beschlossen wird. Die führende internationale Rolle sollte dann ein EU-Sondergesandter einnehmen, der gleichzeitig auch die Delegation der EU-Kommission in Bosnien und Herzegowina leiten und das Land auf dem Weg der EU-Integration unterstützen soll. Bonn Powers oder ähnliche Vollmachten wären dann nicht mehr vorgesehen.
Wichtigste Voraussetzung für eine Auflösung des OHR ist allerdings nach offizieller Lesart noch immer ein "positives politisches Klima", wie der aktuelle und siebte Hohe Repräsentant Valentin Inzko dieser Zeitung sagte. Der österreichische Diplomat zeigte sich "moderat optimistisch", dass dies bis Ende des Jahres zu schaffen sei. Einen Abzug der EUFOR vor Ende des OHR-Mandates schloss Inzko aber in jedem Fall aus. Angesichts der zunehmend schärferen Töne zwischen den politischen Vertretern der bosnischen Muslime und Serben deutet derzeit allerdings nichts auf ein schon bald verbessertes Klima hin.
Haris Silajdzic, bosniakisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium, bezeichnete Bosnien und Herzegowina gegenüber dieser Zeitung denn auch als "ein nicht funktionierendes Land, wegen seiner Struktur der Teilung". Er will deshalb möglichst starke internationale Institutionen und hat bereits angekündigt, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Schließung des OHR zu verhindern. Sulejman Tihic, Chef der größten bosniakischen Partei SDA, warnte sogar vor einem erneuten Gewaltausbruch, sollte das OHR seine Tore zu früh dicht machen. Auch Mustafa Ceric, Großmufti der bosnischen Muslime, lehnt voreilige Schritte ab. Bosnien und Herzegowina als Staat – und nicht die beiden Entitäten – müsse auf eigenen Füßen stehen, bevor der Hohe Repräsentant das Land verlassen könne. "Falls die Bosniaken nicht sicher sein können, einen wirklichen Staat zu haben, in dem sie gemeinsam mit Serben und Kroaten leben, dann wird der Radikalismus zunehmen", so der Geistliche.
Während die bosniakischen Vertreter allesamt eine Stärkung der gesamtstaatlichen Strukturen anstreben, will Milorad Dodik, Premierminister der Republika Srpska, genau das Gegenteil – möglichst viele Kompetenzen bei den Entitäten. Dabei ist ihm das OHR, das in den vergangenen Jahren per Dekret verschiedene Zuständigkeiten von der Entitäts- auf die Gesamtstaats-Ebene verschoben hatte, ein Dorn im Auge. Obwohl er während der letzten Jahre immer wieder damit gedroht hatte, die Republika Srpska per Referendum von Bosnien und Herzegowina abzuspalten, wies er diese Absichten gegenüber dieser Zeitung nun von sich. Warum? "Die USA sind dagegen", meinte er vielsagend, um gleich relativierend anzufügen: "Aber wenn die Menschen hier entscheiden könnten, würden sie für eine unabhängige Republika Srpska stimmen."
Widersprüchlicher könnten die Positionen in Bosnien und Herzegowina mit seinen geschätzten vier Millionen Einwohnern kaum sein: Die bosnischen Serben (zirka 35 Prozent) wollen so wenig wie möglich mit dem Gesamtstaat zu tun haben, die Bosniaken (etwa 50 Prozent) drängen auf eine Zentralisierung der Strukturen – und die bosnischen Kroaten (rund 10 Prozent) hätten am liebsten ihre eigene, dritte Entität. Es sind gegenseitige Blockaden und die fehlende Kompromissbereitschaft, die Bosnien und Herzegowina seit 14 Jahren beherrschen und so weit gehen, dass es das Land zum Beispiel nicht geschafft hat, die Voraussetzungen der EU für die Visafreiheit im Schengenraum zu erfüllen – obwohl alle Volksgruppen dies anstreben. Trotz dieser politisch katastrophalen Gemengelage will die internationale Gemeinschaft nun das OHR schließen und damit die Verantwortung in die Hände der lokalen Politiker legen. Dies geschieht nicht aus Überzeugung, sondern viel mehr aus Ratlosigkeit und dem Mangel an Alternativen.