Heiterer Wahlkampf an der Moldau
Das journalistische Sommerloch gähnt normalerweise auch in Tschechiens Zeitungen. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Anfang Oktober werden die Tschechen vorzeitig an die Wahlurnen gerufen; da ist bei den Politikern Aktivität gefordert.Und dennoch steht erst einmal ein Urlaub im Mittelpunkt. Der bürgerliche Ex-Premier Mirek Topolanek hat den seinen in einer Villa auf einer Halbinsel im Süden der Toskana verlebt – die ausnahmsweise mal nicht Silvio Berlusconi gehört. Als Topolanek vor Monaten, privat vom italienischen Ministerpräsidenten eingeladen, auf Sardinien weilte, geriet er ins Visier von Paparazzi. Nackt und mit erigiertem Geschlechtsteil. Die Tschechen – gemeinhin sehr freizügig – nahmen das gelassen.Weniger gelassen nehmen sie die Fotos vom aktuellen Italien-Urlaub Topolaneks.
Der ließ es sich nämlich bei Spitzenmanagern seines Landes gut gehen. Beim Chef des halbstaatlichen Energiekonzerns CEZ beispielsweise, der gerade mit Unterstützung auch von Topolaneks ODS den Ausbau des Atomkraftwerks Temelin plant und dem das Parlament Verschmutzungszertifikate für seine Kohlekraftwerke kostenlos überließ. Die Villa gehört angeblich einer Finanzgruppe, die sich gute Chancen bei der Privatisierung des Prager Flughafens ausrechnet. Topolanak beteuert, seinen Urlaub selbst bezahlt zu haben. Ein schaler Geschmack bleibt dennoch.Fotos von Topolanek und seinen Geschäftspartnern gelangten auf seltsamen Wegen in die Presse: über Mittelsmann Karel Randak nämlich, der unter den Sozialdemokraten Chef des Prager Inlandgeheimdienstes war und den Topolanek entlassen hatte. Logisch, dass sich Topolanek von den Sozialdemokraten bespitzelt wähnt.Um das Wahlprogramm macht sich der Ex-Premier indes weniger Gedanken.
Die Wähler, findet er, sollten es selbst schreiben, mit Vorschlägen per E-Mail an die ODS-Zentrale. Topolanek radelt derweil in Mähren durch die Lande. Wahlkampf vom Fahrrad aus.Die Sozialdemokraten (CSSD) kommen auf andere Weise ins Schwitzen. Ihr Chef, Jiri Paroubek, macht sich bei der eigenen Basis unbeliebt, weil er die Wähler mit Prominenten ködern möchte. Schauspielerinnen oder Eishockey-Cracks stehen plötzlich auf den Listen über Leuten, die sich seit Jahren für die Partei aufgerieben haben. Kritisieren diese Paroubek für dessen Alleingänge, schießt der verbal scharf zurück. Bei den Wählern kommt das nicht gut an. Der Spitzenkandidat wird zum Problem, die CSSD sinkt in den Umfragen unaufhörlich.Dazu trägt sicher auch der Verdacht bei, die CSSD könnte nach den Wahlen mit den Altkommunisten der KSCM kungeln. Die versuchen sich als Koalitionspartner anzudienen, und versprechen, sich noch einmal für die Verbrechen während des Totalitarismus zu entschuldigen. Das hatte Paroubek einst von der Kommunistischen Partei gefordert, wenn sie salonfähig werden wolle. Jetzt bringt ihn das Angebot der Genossen in Bedrängnis. Paroubek beteuert zwar, dass er mit den Kommunisten auch weiter nichts am Hut habe, aber niemand glaubt ihm das.
Wahllokal im Prager Stadtteil Horni Pocernice 2006 / Björn Steinz, n-ost
Die Wahlen sind auch für bislang völlig unbekannte Gruppen verlockend. Obcane (Bürger) heißt eine Partei, bei der man sich per Casting-Show um einen Listenplatz bewerben kann. Wer eine dreiköpfige Jury mit einem 15-Minuten-Statement überzeugt, hat gute Chancen. Die Mitgliedschaft bei Obcane ist freilich ein teurer Spaß. Der Jahresbeitrag liegt bei fast 2.000 Euro. Da es die Partei nach der Wahl mit Sicherheit nicht mehr geben wird, dürfte dann freilich auch dieses Geld weg sein.Die Grünen würden bei einer Casting-Show vermutlich kaum Bewerber finden. Bei den letzten Wahlen als Hoffnungsträger in Parlament und Regierung gelangt, haben sie sich so lange zerstritten, bis ihr charismatischer Chef Martin Bursik aufgab; er wird nicht wieder kandidieren. Der “Rest” der Partei dümpelt in den Umfragen weit unter der Fünf-Prozent-Hürde herum.Gut lachen dagegen hat die Parteineugründung TOP 09 mit dem beliebten Ex-Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg an der Spitze. TOP steht für Tradition, Verantwortung und Fortschritt. Der Fürst hat sich darüber hinaus ein hübsches Motto für den Wahlkampf ausgedacht: Die Kandidaten sollen mit ihrem Lächeln überzeugen. In eher finsteren politischen Zeiten scheint sich das auszuzahlen: die Partei würde derzeit sicher ins Parlament einziehen. Die Prognosen liegen bei fast 10 Prozent, was in der tschechischen Parteienlandschaft sensationell zu nennen ist.Hans-Jörg Schmidt