Linguistischer Unsinn
Slowaken und Ungarn liegen wegen eines neuen Sprachengesetzes im Clinch(n-ost) – Lang, lang ist‘s her, seit zuletzt ein slowakischer Regierungschef zu einem offiziellen Besuch im benachbarten Ungarn war. 2001 war das, der Premier hieß damals Mikulas Dzurinda. Sein Nachfolger Robert Fico hatte sich die ungarnfeindliche Slowakische Nationalpartei in seine Koalition geholt und damit die Nachbarn gegen sich aufgebracht. Mit seinem Kollegen Ferenc Gyurcsany konnte Fico nie, obwohl beide Sozialdemokraten sind. Mit Gordon Bajnai sollte nun der Neuanfang gelingen.Doch es ist wieder etwas dazwischen gekommen: der Streit um ein neues Sprachengesetz in der Slowakei, das nach Meinung Budapests die Rechte der ungarischen Minderheit in der Slowakei beschneidet. Die ungarnstämmigen Slowaken nämlich sollen künftig nur dort ihre Muttersprache in öffentlichen Einrichtungen sprechen dürfen, wo mindestens 20 Prozent ethnische Ungarn leben. Wer diesen und anderen Vorschriften zuwider handelt, muss mit Geldbußen von bis zu 5.000 Euro rechnen.Natürlich gilt das Gesetz, dass der slowakischen Staatssprache unbedingten Vorrang einräumt, auch für die anderen Minderheiten in der Slowakei. Nur die gebürtigen Tschechen sind davon ausgenommen, was die Ungarn nicht verstehen können. In der Slowakei leben nur 80.000 Tschechen, aber mehr als 500.000 Ungarn - immerhin ein Zehntel der slowakischen Gesamtbevölkerung. In Bratislava hält man dagegen, dass man mit den Tschechen schließlich lange in einem gemeinsamen Staat gelebt hat: der Tschechoslowakei.Budapest sieht in dem neuen Gesetz, das am 1. September in Kraft treten soll, einen neuerlichen Angriff der “Nationalisten” in der slowakischen Regierung. Freilich ist das Gesetz so neu nicht. 1995 erließ die Regierung Vladimir Meciar auf Betreiben der ungarnfeindlichen Nationalpartei eine ähnliche Vorschrift. Die hatte auch auch unter dem bürgerlichen Premier Dzurinda Bestand. Lediglich die angedrohten Strafen wurden gestrichen. Die sollen nun unter Regierungschef Fico, der mit der Nationalpartei koaliert, wieder eingeführt werden.Zwar behauptet Bratislava in einer aufwändigen Aufklärungskampagne, in die auch die Botschaften eingespannt wurden, das Gesetz schränke den Gebrauch der Minderheitensprache nicht ein. Aber daran zweifeln selbst internationale Organisationen wie die OSZE. Die hält die Vorschrift zwar für grundsätzlich vereinbar mit den international üblichen Standards für den Minderheitenschutz; sie könne dennoch als indirektes Instrument zur Aushöhlung der sprachlichen Rechte nationaler Minderheiten missbraucht werden.Internationale Sprachwissenschaftler nennen das Gesetz schlichtweg “linguistischen Unsinn”: “Eine Sprache lässt sich nicht in der alleinigen durch ein Kulturministerium kodifizierten Form konservieren.“Bela Bugar, Chef der neugegründeten Partei Most-Hid, der Brücken zwischen den Slowaken und der ungarischen Minderheit bauen will und in beiden Volksgruppen beliebt ist, wirft der Regierung in Bratislava vor, mit dem Gesetz von den wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen, die deutlich wichtiger seien. Bratislava trage seine Probleme mit Budapest auf dem Rücken der ungarischen Minderheit aus.Westliche Diplomaten sehen das ähnlich: Die Slowakei wolle vor einer sehr wahrscheinlichen Wahl des Nationalisten Viktor Orban zum künftigen ungarischen Premier den Nachbarn einfach noch einmal ihre Grenzen aufzeigen. Der überfälligen Verständigung zwischen Slowaken und Ungarn, immerhin zweier Nachbarn, die auch EU- und Nato-Mitglieder sind, wäre das freilich nicht zuträglich.Hans-Jörg SchmidtENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0